Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)

vorsichtig sein«, ermahnte Holden die anderen.
    »Ich seh mich mal in der Zentrale um«, sagte Naomi. »Falls irgendetwas mit Batterien läuft, kann ich …«
    »Nein, das kommt nicht infrage«, widersprach Holden. »Wir teilen uns erst auf, wenn wir sicher sind, womit wir es hier zu tun haben. Bleibt zusammen.«
    Amos schwebte weiter und verschwand in der Dunkelheit. Holden folgte ihm, dann Miller. Naomis Körpersprache war nicht zu entnehmen, ob sie gereizt oder erleichtert war.
    Die Messe war leer, hier waren Kampfspuren zu erkennen. Ein Stuhl mit einem verbogenen Bein, ein langer, gezackter Kratzer auf der Wand, wo etwas Scharfes die Farbe abgekratzt hatte. Zwei Einschusslöcher über einem Schott, vermutlich von Querschlägern. Miller streckte eine Hand aus, packte einen Tisch und schwang sich langsam herum.
    »Miller?«, fragte Holden. »Kommen Sie mit?«
    »Sehen Sie sich das mal an«, sagte der Cop.
    Die Flocken waren bernsteinfarben und schimmerten im Licht wie Glas. Holden schwebte näher heran.
    »Zombiekotze?«, fragte er.
    »Ich glaube schon.«
    »Tja, dann sind wir wohl auf dem richtigen Schiff. Was man so ›richtig‹ nennt.«
    Die Mannschaftsquartiere waren stumm und leer. Sie durchsuchten alle Räume, fanden jedoch keinerlei persönliche Hinterlassenschaften. Keine Terminals, keine Bilder, keine Hinweise auf die Namen der Männer und Frauen, die auf dem Schiff gelebt und geatmet hatten und die wahrscheinlich auch dort gestorben waren. Die Kapitänskajüte war nur an der etwas größeren Koje und einem verschlossenen Safe zu erkennen.
    Dahinter entdeckten sie einen großen zentralen Raum, in den beinahe die ganze Rosinante hineingepasst hätte. Dort erhoben sich zwölf mächtige Zylinder, die von schmalen Laufgängen und Gerüsten umgeben waren. Miller sah, wie Naomis Miene hart wurde.
    »Was ist das?«, fragte Miller.
    »Torpedorohre«, sagte sie.
    »Torpedorohre?«, staunte er. »Jesus Christus, wie viele haben die eingepackt? Eine Million?«
    »Zwölf«, erklärte sie. »Nur zwölf.«
    »Damit können Sie Großkampfschiffe erledigen«, meinte Amos. »Diese Dinger zerstören gleich beim ersten Schuss alles, worauf Sie zielen.«
    »Schiffe wie die Donnager? «, fragte Miller nach.
    Holden sah ihn an, die beleuchteten Anzeigen erhellten sein Gesicht.
    »Oder die Canterbury .«
    Schweigend sahen sie sich zwischen den dicken schwarzen Röhren um.
    In den Werkstätten waren die Anzeichen von Gewalt am deutlichsten zu erkennen. Auf Boden und Wänden klebte Blut, dazu breite Bahnen von gläsernem goldenem Harz, das früher einmal Erbrochenes gewesen war. Eine zusammengeknüllte Uniform. Der Stoff war zusammengerafft und mit einer Flüssigkeit getränkt, die in der Kälte des Weltraums steif gefroren war. Nachdem er jahrelang viele Tatorte besichtigt hatte, bemerkte Miller ein Dutzend Einzelheiten: die Anordnung der Kratzer auf dem Boden und den Aufzugtüren, die Spritzer von Blut und Erbrochenem, die Fußabdrücke. Sie erzählten die Geschichte.
    »Sie sind im Maschinenraum«, sagte der Detective schließlich.
    »Wer?«, fragte Holden.
    »Die Besatzung. Wer auch immer sich auf dem Schiff befunden hat. Alle bis auf eine.« Er deutete auf einen halben Fußabdruck, der in Richtung Lift zeigte. »Hier erkennen Sie, dass ihre Fußabdrücke alles andere überlagern. Hier ist sie in Blut getreten, das schon trocken war. Es war zu Flocken geronnen und schmierte nicht mehr.«
    »Woher wissen Sie, dass es eine Frau war?«, erkundigte sich Holden.
    »Es war Julie«, erklärte Miller.
    »Nun ja, wer immer da drin ist, sie atmen schon seit langer Zeit das Vakuum«, sagte Amos. »Sehen wir es uns an?«
    Niemand stimmte ausdrücklich zu, doch alle schwebten weiter. Die Luke stand offen. Die Dunkelheit dahinter schien noch tiefer, unheildrohender und persönlicher als der Rest des toten Schiffs. Aber vielleicht bildete Miller es sich auch nur ein. Er zögerte und versuchte, Julies Abbild heraufzubeschwören. Sie erschien nicht.
    Als sie in den Maschinenraum schwebten, fühlten sie sich wie Höhlentaucher. Miller sah die Scheinwerfer der anderen über Wände und Kontrolltafeln wandern. Sie suchten nach funktionierenden Steuerelementen oder wenigstens nach Aggregaten, die sie aktivieren konnten. Er betrachtete unterdessen den Rest des Raums, wo sein Lichtstrahl in der Dunkelheit verschwand.
    »Wir haben Batterien, Käpt’n«, erklärte Amos. »Und … es sieht aus, als sei der Reaktor absichtlich abgeschaltet