Lewis, CS - Narnia 7
hätte ihnen das vorgesetzt, was man so in einem Stall findet. Ein Zwerg sagte, er versuche Heu zu essen, ein anderer, er hätte ein Stückchen von einer alten Rübe, ein dritter, er hätte ein rohes Kohlblatt im Mund. Sie setzten goldene Becher mit köstlichem roten Wein an die Lippen und riefen: ›Hu! Schmutziges Wasser aus einem Trog für den Esel. Soweit sind wir heruntergekommene Aber sehr bald glaubte ein Zwerg, ein anderer habe etwas Besseres gefunden als er selbst. Im Nu gab es Streit, Rauferei und offenen Kampf zwischen den Zwergen. Sie verschmierten das gute Essen auf ihren Gesichtern und Gewändern oder zertrampelten es unter ihren Füßen. Doch als sie sich endlich anschickten, ihre blau und grün geschlagenen Augen und blutenden Nasen zu pflegen, sagten alle:
»Na, auf jeden Fall gibt’s hier keinen Unfug wie anderswo. Wir haben uns von niemandem übers Ohr hauen lassen. Die Zwerge sind für die Zwerge da.«
»Seht ihr«, sagte Aslan, »sie wollen sich nicht helfen lassen. Sie haben Mißtrauen und Arglist dem Glauben vorgezogen. Ihre Gefangenschaft besteht nur in ihrer eigenen Einbildung, aber sie bleiben gefangen, weil sie so denken. Aber kommt, Kinder, ich habe noch anderes zu tun.«
Er ging zur Tür, und alle folgten ihm. Er hob seinen Kopf und brüllte: »Nun ist es Zeit.« Dann noch lauter: »Zeit!« Endlich so laut, daß sein Brüllen die Sterne erschütterte: »Zeit!«
Die Tür flog auf.
Nacht über Narnia
Sie standen alle rechts neben Aslan und blickten durch die offene Tür. Das Feuer draußen war erloschen. In Narnia herrschte völlige Finsternis. Daß sie in einen Wald hineinschauten, war daran zu erkennen, daß die Sterne die dunklen Umrisse der Bäume beleuchteten.
Als Aslan zum dritten Male ›Zeit‹ gebrüllt hatte, war draußen, jenseits der Tür, eine schwarze Gestalt erschienen. Das heißt, sie alle sahen nur einen dunklen Fleck, weil dort keine Sterne leuchteten. Der Fleck stieg höher und höher und nahm die Form eines Mannes an, des ungeheuersten aller Riesen. Sie kannten Narnia so gut, daß sie leicht den Platz errieten, wo er stehen mußte: auf den Hochmooren, eine Strecke weiter nach Norden, über dem Fluß Drub. Da erinnerten sich Jutta und Eugen, daß sie einmal, vor langen Zeiten, in den tiefen Höhlen unterhalb dieser Moore einen mächtigen Riesen schlafend gesehen hatten. Sie erfuhren damals, daß sein Name ›Vater Zeit‹ war. Man erzählte sich von ihm, daß er erst an dem Tag erwachen würde, wenn Narnia zu Ende ginge.
»Ja«, sagte Aslan, obwohl keiner auch nur ein Wort gesprochen hatte. »Als er noch in tiefen Träumen lag, hieß er Zeit. Nun ist er erwacht und bekommt einen neuen Namen.«
Dann hob der Riese ein Horn an den Mund. Sie konnten das an der veränderten schwarzen Gestalt sehen, die sich vor den hellen Sternen bewegte. Etwas später – weil der Klang so langsam wandert – hörten sie den Ton des Hornes, hoch und schrecklich und von einer seltsam tödlichen Schönheit.
Sogleich füllte sich der Himmel mit Sternschnuppen. Wie schön sieht schon eine einzige Sternschnuppe aus, hier aber waren es zuerst Dutzende und dann mehr und mehr, bis sie wie ein silberner Regen stürzten, und noch immer fielen weitere Sterne.
Nach einer Weile glaubten sie wiederum eine dunkle Gestalt am Himmel zu sehen. Sie stand an einer anderen Stelle, gerade über ihnen, oben auf dem höchsten Dach des Himmelszeltes, wie man so sagt.
Vielleicht nur eine Wolke, dachte Edmund. Auf jeden Fall waren dort keine Sterne zu sehen, nur Finsternis. Um diesen dunklen Fleck herum ging der Sternschnuppenfall weiter. Dann fing der sternlose Fleck an zu wachsen, vom Mittelpunkt des Himmels breitete er sich langsam weiter aus. Bald war ein Viertel des gesamten Himmels schwarz, dann die Hälfte, und zuletzt fiel der Sternschnuppenregen nur noch in der Nähe des Himmelsrandes.
Mit Erstaunen und auch etwas Schrecken wurde ihnen plötzlich klar, was da vor sich ging. Die sich ausbreitende Finsternis war durchaus keine Wolke, es war einfach Leere. Das schwarze Stück des Himmels war der Teil, an dem keine Sterne mehr standen. Alle Sterne fielen, Aslan hatte sie heimgerufen.
Die letzten wenigen Sekunden, bevor der Sternenschauer ganz aufhörte, waren aufregend genug. Überall um sie herum fielen Sterne. Aber die Sterne Narnias sind keine großen flammenden Kugeln wie in unserer Welt. Vielmehr sind es Menschen (Edmund und Luzie waren einmal einem solchen Wunderwesen begegnet). So
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