Lewis, Michael
das blieb aus. Stattdessen schnürten große Wall-Street-Unternehmen, allen
voran Merrill Lynch und Citigroup, zwischen Februar und Juni 2007 neue CDOs im
Wert von 50 Milliarden US-Dollar, die sie dann auch unters Volk brachten. »Wir
sind bass erstaunt«, sagte Charlie. »Alles ist wie immer, obwohl eigentlich
nichts wie immer ist. Wir wussten, dass die Sicherheiten für die CDOs zerplatzt
waren wie eine Seifenblase. Und trotzdem ging alles seinen Gang, als wäre
nichts passiert.«
Es
war, als ob der gesamte Finanzmarkt versucht hatte, seine Meinung zu ändern -
und dann feststellen musste, dass er sich das gar nicht leisten konnte.
Wall-Street-Firmen - allen voran Bear Stearns und Lehman Brothers -
veröffentlichten unverdrossen Research-Ergebnisse zum Thema Anleihen, die
bekräftigten, wie stark der Markt doch sei. Ende April veranstaltete Bear
Stearns eine CDO-Konferenz, in die sich Charlie hineinschmuggelte. Im
ursprünglichen Tagungs-Programm war eine Präsentation mit dem Titel »Wie
verkauft man CDOs leer?« angekündigt worden. Doch bei der Konferenz wartete man
vergebens darauf. Sie war gestrichen worden, ebenso hatte man die
Präsentationsfolien entfernt, die zu einem Vortrag auf der Webseite von Bear
Stearns gehörten. Moody's und S&P ruderten ebenfalls zurück, was sehr
aufschlussreich war. Ende Mai verkündeten die beiden großen Ratingagenturen,
dass sie planten, ihre Ratingmodelle für Subprime-Anleihen auf den Prüfstand zu
stellen. Charlie und Jamie engagierten einen Anwalt, der bei Moody's anrufen
und nachfragen sollte, ob sie im Falle einer künftigen Bewertung von
Subprime-Anleihen nach anderen Kriterien auch planten, die Anleihen im Wert
von rund 2 Billionen US-Dollar, die sie bereits (unzulänglich) bewertet hatten,
neu einzuschätzen. Moody's hielt das jedoch für keine gute Idee. »Wir rieten
ihnen: >Ihr müsst ja nicht alle neu bewerten, nur die, die wir leerverkauft
haben<«, berichtete Charlie. »Sie drucksten herum und meinten dann:
>Hmm... nein.<«
Für
Charlie, Ben und Jamie stand es außer Frage, dass die Wall Street die Preise
dieser CDOs stützte, damit sie die drohenden Verluste auf ahnungslose Kunden
abwälzen oder noch ein letztes Mal ein paar Milliarden US-Dollar Kapital aus
einem unlauteren Markt schlagen konnten. Wie auch immer, sie pressten Saft aus
eindeutig verfaulten Orangen und boten diesen zum Verkauf an. »Wir waren uns
Ende März 2007 bei einem von zwei Dingen ziemlich sicher«, sagte Charlie
»Entweder war das ganze Spiel von Anfang an manipuliert, oder wir waren völlig
übergeschnappt. Der Betrug war so offensichtlich, das konnte in unseren Augen
auch an unserem politischen System, der Demokratie, nicht spurlos vorübergehen.
Diese Vorstellung jagte uns ziemliche Angst ein.« Er und Ben kannten Reporter,
die für die New
York Times und
das Wall
Street Journal arbeiteten - doch die zeigten keinerlei Interesse an ihrer Geschichte.
Ein Freund vom Journal stellte den Kontakt zur Vollzugsabteilung der US-amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde
SEC her, doch die waren ebenfalls desinteressiert. Das SEC-Team traf sich zwar
mit ihnen in ihrem Büro in Lower Manhattan und hörte ihnen auch zu, aber mehr
aus Höflichkeit denn aus Neugier. »So stelle ich mir eine Therapiestunde vor«,
meinte Jamie.
»Wir
saßen da und erzählten von unserer verrückten Erfahrung.« Mit jedem Wort, das
sie sagten, wurde das Unverständnis ihrer Gesprächspartner größer und größer.
»Vermutlich hatten wir diesen irren Blick, diesen
Wir-können-seit-drei-Tagen-nicht-schlafen-Blick«, vermutete Charlie. »Aber sie
hatten keine Ahnung von CDOs oder von forderungsbesicherten Wertpapieren. Wir
haben ihnen zwar erklärt, was wir tun, aber ich glaube, die haben kein Wort
davon kapiert.« Sie hörten nie wieder etwas von der Börsenaufsicht.
Cornwall
sah sich mit einem Problem konfrontiert, das das Unternehmen viel stärker
betraf als der Zusammenbruch der Gesellschaft, wie wir sie kennen: das
endgültige Scheitern von Bear Stearns. Am 14. Juni 2007 erklärte Bear Stearns
Asset Management, ein CDO-Unternehmen ähnlich wie Wing Chaus, das von
ehemaligen Mitarbeitern von Bear Stearns geführt wurde und die stillschweigende
Unterstützung durch das Mutterschiff genoss, dass es mit Spekulationen auf
Subprime-Hypothekenpapiere Geld verloren habe und nun gezwungen sei, solche
Papiere im Wert von 3,8 Milliarden US-Dollar auf den Markt zu werfen, bevor es
den Fonds schließen würde. Bis zu diesem
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