Lewitscharoff, Sibylle
genau
wie ich.
Da
flog was, ein Hut. Aber nein, es war bloß der Hut eines Leichenschmausgängers,
der sich uns angeschlossen hatte in der Hoffnung auf ein tüchtiges Mittagessen.
Leichenschmaus,
den gab's natürlich, mit vielen, vielen Gästen, und üppig war er auch, wie bei
Tabakoff nicht anders zu erwarten gewesen war.
Sollten
wir vorm Abflug noch zusammen etwas essen? Obwohl ich ein bisschen Hunger
verspüre, sage ich lieber nichts. Vielleicht wirkt ein so profaner Gedanke
deplaziert, nun, da der Kummer meiner Verliebten locker den Sofioter Flugplatz
füllen könnte mitsamt Lande- und Abflugbahnen. Wie sie die letzten beiden
Stündchen zubringen wollen, ist allein ihre Sache.
Und
da sind wir auch schon am Stadtrand inmitten von Wohnblöcken, vor denen ich
pietätvoll die Augen schließe, denn dieses Schreckbild von Sofia will ich
nicht mit ins Flugzeug nehmen. Wir biegen nach links und haben die Straße
erreicht, die zum Airport führt.
Jetzt
sind meine Augen wieder offen, und siehe da, auf der Überholspur schiebt sich
ein schwarzer Geländewagen auf gleiche Höhe mit uns und hält die Höhe. Wie von
Zauberhand werden die getönten Scheiben durchsichtig. Vorne sitzt der Vater am
Lenker und die Mutter neben ihm, beide schauen stur geradeaus, er hat sein
Käppi auf wie eh und je, wir Töchter hocken regungslos und wie gemalt im Fond.
Die
Toten warten auf ihre Stunde, sie kommen höchstselbst und nicht nur im
tintigen Pfuhl der Nacht. Ich aber bewahre kühlen Mut. Immerhin habe ich es
geschafft, länger zu leben als der Vater und ein freundlicheres Leben zu
führen als die Mutter. Nicht die Liebe vermag die Toten in Schach zu halten,
denke ich, nur ein gutmütig gepflegter Haß.
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