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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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auf dieser Decke. Eine Hollywoodschöne aus den
Fünfzigern hätte sich hier tummeln können, bäuchlings in einer Illustrierten
blätternd, im rosefarbenen Kostüm, die Unterschenkel hochgestellt, mit an den
Zehen baumelnden Pumps.
    Und
herrje, neben dem Bett stand ein lang vermißtes Möbelstück aus Kindertagen:
ein lederner Puff. Hier allerdings ein brandneues Exemplar aus hellem Leder
(Doris Day hätte sich darauf wohl gefühlt), während es sich bei meinem
Kinderpuff um ein indianerhaft zerschlissenes, rotgrün-braun gemustertes Ding
handelte, auf dem ich gemeinsam mit dem Dackel herumgeturnt war oder ihn durch
Kratzen und Scharren verlockt hatte, ins Leder zu beißen.
    Ich
zog die Vorhänge zurück, nein, ziehen oder gar zerren musste man an ihnen
nicht, allein durch Berührung glitten sie in ihren Schienen wie geschmiert hin
und her. Einige Male spielte ich Vorhang auf, Vorhang zu, verwundert, dass es
in Bulgarien Schienen gab, in denen Röllchen tadellos liefen, und kam dabei ins
Grübeln, ob ich vielleicht falsch von dem Land dachte.
    Der
Blick auf die Stadt vom Fenster im neunten Stock war erfreulich, der Platz mit
dem gelben Pflaster darunter nicht übel.
    Ich
packte meinen Koffer aus und stellte eine soldatische Ordnung im Badezimmer
her. Sehr praktisch, sehr üppig alles. Viel freie Fläche. Sauber. Das blendend
weiße Waschschüsseloval lag in eine dunkle, graugrüne Marmorplatte gesenkt.
Außerdem ein bodenfrei schwebender Toilettensitz und ein bodenfrei schwebendes
Bidet, wie neuerlich sehr beliebt, und, wie mir meine Erfahrung als Expertin
sagte: putzpraktisch.
    Für
den Abend und die nächsten zwei Tage hatten wir frei, weil die meisten von uns
Verwandte treffen wollten. Wir Schwestern gingen aus, um die Cousinen zu
besuchen. Dort lernten wir Rumen kennen, der uns schon vorher von Atanasia als
Reiseführer empfohlen worden war. Sprachlich abenteuerten wir vergnügt vor uns
hin in einem erregten Mischmasch aus Deutsch, Englisch, Französisch. Rumen
sprach fabelhaft Deutsch, er schien sich in Europa West wie Ost gut
auszukennen. Meine Schwester, die zu wohldosierten theatralischen Übungen
neigt, erhob sich eigens für eine kleine Ansprache, förmlich, aber herzlich.
Wie froh wir seien, dass er sich bereit erklärt habe, so viel von seiner
kostbaren Zeit für uns zu opfern!
    Wie wunderbar Sie Deutsch sprechen, konnten wir natürlich nicht
ahnen, sagte meine Schwester und legte die Fingerspitzen aneinander, öffnete
sie dann wieder für einen angedeuteten Applaus. Jetzt schämen wir uns natürlich
um so mehr, dass wir kein Bulgarisch können, fügte sie in ihrer allersüßesten
Verlogenheit hinzu. Schon damals fiel mir auf, wie Rumen ihren Bewegungen mit
glänzenden Augen folgte. Noch in der Nacht trat er in unseren Dienst, indem er
uns ins Hotel zurückfuhr. Und ja, wir waren mit ihm zufrieden und wechselten
rasch von Sie auf Du über.
    Das
war letzten Mittwoch. Und heute? Heute regiert die Melancholie. Meine
Verliebten sitzen vorne wie die Schwermutsleichen, schweigend, nicht einmal
rauchend, nur hin und wieder legt meine Schwester ganz zart ihre Hand auf
Rumens Knie. So langsam ist Rumen noch nie gefahren. Er schleicht geradezu.
    Ich
bin ebenfalls zum Schweigen verdammt. Es wäre mehr als taktlos, wollte ich von
hinten Frohsinn verbreiten, etwa davon plappern, dass ich es kaum erwarten
kann, wieder in Berlin zu sein.
    Dabei
fing alles so munter zwischen uns dreien an. Rumen war am nächsten Morgen in
der Hotellobby erschienen, um uns in den Stadtteil Bojana am Fuße des Vitoscha
zu kutschieren. Er hatte einen dunkelgrauen Anzug an, und um seinen Hals
flatterte - flott, flott - ein braungrünes Seidenschälchen mit Lilienmuster.
    Ins
Nationalhistorische Museum ging unsere erste Fahrt, zu den Goldschätzen der
thrakischen Prinzessin. Schon damals kam zwischen Rumen und mir eine
verkorkste Stimmung auf, weil ich lauthals über den Bau zu lästern anfing. Es
handelte sich um eine der vielen ehemaligen Residenzen Schiwkows, die heute ein
Museum ist. Flach wie ein eckiger Fladen, sehr breit, sehr hässlich und mit
einer elend langen Treppe davor. Ein pompöses, arg heruntergewirtschaftetes
Gebäude in niedriger Diwanbauweise, beeinflußt vom Aufmarschstil Mussolinis.
    Allein
die Treppe! Mit einer Legion Schwarzhemden hätte man hier gut trainieren
können, und zwar den gebremsten Sturmangriff (falls es so etwas gibt). Ich sah
mich im Geiste Befehle schreien: Rennen! Steigen! Rennen! Steigen!

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