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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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haben, in kleiner Schrift, was ich
allerdings nur vermutete.
    Wenn
das Gebilde aus Adobe gewesen wäre, hätte man an einen Miniaturpueblo denken
können, zu Schauzwecken im Hof eines Indianermuseums errichtet. Nicht zu einem
Pueblo paßten allerdings die Messingtürchen in durchbrochenem Flechtmuster,
die zu den Grabnischen gehörten. Ihre Flügel standen einladend offen.
    Die
überleben keine drei Tage hier, sagte Rumen.
    Wer?
fragte meine Schwester.
    Die
Messingteile. Viel zu kostbar. Werden sofort abmontiert.
    Und
wieder traten die Chauffeure in Aktion, die sich bisher diskret abseits
gehalten hatten. Hinter dem Monument holten sie Leitern hervor und stellten
sie zurecht, die Wendigsten von ihnen kletterten auf halbe Höhe und nahmen von
ihren Kollegen jeweils eine Kiste in Empfang. Die Chauffeure mussten das geübt
haben, sie agierten geschickt wie in einem Ballett, und selbst ein kleiner
Korpulenter, der dabei ziemlich ins Schwitzen gekommen war, vollführte seine
Aufgabe mit Grazie. Am meisten verwunderte mich, dass sie es fertigbrachten,
ohne Zögern die richtige Kiste ins richtige Obdach zu verfrachten, angefangen
bei der obersten Reihe, von links nach rechts. War die Kiste drin, erklomm der
Schlüsselchef die Leiter - er war einer der Fahrer der Sternlimousinen, ein
gesetzter, älterer Herr -, machte die Messingflügel zu und schloss ab. Er tat
es sorgsam, rüttelte zur Probe noch einmal am Knopf des nunmehr verschlossenen
Türchens und strich am Schluss mit der Handschuhhand sanft darüber hin. Danach
trat der Öllämpchenmann, ebenfalls ein Chauffeur, in Aktion, setzte eine Lampe
vor die Nische und zündete sie an.
    Zu
alldem wurden die Weihrauchgefäße geschwenkt, die Popen beteten und sangen im
Wechsel. Dann übergab ein zittriger Tabakoff seine Kerze dem Rosenzüchter und
las eine Rede vom Blatt, geplant war sie zweisprachig, ein Teil auf deutsch,
der andere auf bulgarisch. Bei etwas wie urewig unsrigem
Territorium verhedderte er sich dermaßen, dass er vollends
alle deutschen Sätze übersprang und Zuflucht zu seiner Muttersprache nahm.
    Wunderte
ich mich, dass sich kein Vater blicken ließ? Nicht hinter den grünen Büschen,
nicht in der Helle des Himmels und auch nicht in weiter Ferne auf dem Gipfel
des Vitoscha.
    Es
war wohl einer jener Tage, an denen nichts, aber auch gar nichts meine
wundersüchtigen Neigungen hervorlocken konnte. Der Himmel wird von
Abermillionen Vätern gebildet, dachte ich noch, ihrem Rotz, ihren Tränen,
ihrem Samen, und deshalb ist es idiotisch, den eigenen da herausfinden zu
wollen. Obwohl die Idee allem widersprach, was ich bisher vom Vater gewohnt
war, hatte ich eine Denksperre und konnte mich nicht weiter damit befassen.
    Wenn
man verholzt ist, gibt's keine Scherereien.
    Nicht
mal in welche Nische der Vater kam, hatte ich mitgekriegt, so sehr war ich vom
Schauspiel der kletternden Chauffeure abgelenkt. Blumenlos musste er in sein
Gehaus. Einige von uns ließen die Chauffeure blutnasse Rosen oder Lilien auf
den Sockel legen. Wir Kristotöchter nicht.
    Meine
Schwester fiel nicht gerade durch andächtiges Benehmen auf, sondern allenfalls
durch nervöses Taschengekrame und mehrmaliges Kerze-an-Rumen-Abgeben und
Kerze-ihm-wieder-Abnehmen. Ich schaffte es, unauffällig mit meinem Lichtlein
dazustehen.
    Auf
meinem Zeigefinger landete kein Schmetterling und lispelte: Ich bin's.
    Ihr
könnt mich mal kreuzweise, sagte der abwesende Vater, nein, natürlich nicht
er, sondern ich stellvertretend für ihn, lautlos wie immer, irgendwer musste zu
diesem Anlass ja so tun, als gebe es den Vater, und etwas Väterliches sagen,
wobei das mit dem kreuzweise können eine bösartige Erfindung war, weil unser
Vater solchen Worten - wie heißt es so schön? - immer abhold gewesen war.
    Vielleicht,
dachte ich noch, läuft für mich alles wie geschmiert, Räder unter Tabakoff,
Räder unter den Chauffeuren, Räder unter uns allen, weil - ja wieso
eigentlich? - weil weniger als wenig von ihm übriggeblieben ist, nämlich
nichts. Vielleicht ist das mit dem Weckglas voller Vaterkrümel nur ein
Hirngespinst. In der Kiste mochte Dreck liegen oder das kryotechnisch
zerrüttelte Schienbein eines Grabnachbarn, das man versehentlich auf die
Schaufel genommen hatte.
    Tränen?
    Nö.
    Bisschen
Tüchleingeschnief? Auch nicht.
    Zwei,
drei labsalige Sätze? Keine.
    Das
war's, sagte ich zu meiner Schwester, und sie echote: Das war's.
    Sie
ist wirklich meine Schwester, dachte ich, denkt in wesentlichen Dingen

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