Lex Warren E-Book
um meins“, ihre Stimme klang eindringlich. Er zwinkerte nicht einmal. Sie kauerte sich mit dem Rücken zu ihm auf den Boden. „Ich werde versuchen, zu schlafen. Es wäre gut, wenn du dich hinlegst. Wir müssen morgen unbedingt weiterziehen. Es ist nicht gut, an einer Stelle zu bleiben.“
Sie lauschte und war nicht überrascht, als er nichts erwiderte. Benahra schloss die Augen. Ihr Kopf schmerzte und die Hoffnungslosigkeit kroch ihr in die Kehle, was ihr unweigerlich Tränen in die Augen trieb. Sie dachte an Lex und daran, dass er der einzige Mann war, der sie je hatte weinen sehen. Es war nur ein Moment der Schwäche gewesen, und er hatte später nie darüber gesprochen, aber er hatte sie in den Arm genommen. Eine Geste, die ausgereicht hatte, um ihr Mut zu machen und die Schwäche in Stärke zu verwandeln. Der Gedanke hatte sie beruhigt. Sie hatte ihm voll und ganz vertrauen können. Wie gut würde es Miles jetzt tun, wenn er vor ihr weinen könnte und sich die Möglichkeit gab, aus ihrem Trost Kraft zu schöpfen. Benahra kam zu dem Schluss, dass er ihr dafür nicht genug vertraute.
*
Die Dämmerung hatte gerade eingesetzt, als Benahra erwachte. Die Luft war lau, dennoch fror sie in ihrer nassen Kleidung. Sie hoffte, dass Miles seine Sachen angezogen hatte – hoffte, dass er den Schock überwunden hatte. Mit einem leisen Stöhnen drehte sie sich um. Jeder einzelne Knochen tat ihr weh und sie streckte vorsichtig die Glieder. Dann fiel ihr Blick auf die Kleidung, die unberührt auf dem Waldboden lag. Wie eine eiserne Faust schlug die Erkenntnis ihr in den Magen, dass es Miles immer noch alarmierend schlecht gehen musste. Sie wandte den Blick zu der Stelle, an der er unbeweglich gesessen hatte – er war fort. Benahra kam mühsam auf die Beine und lauschte. War Miles pinkeln? Es war möglich, dass er sich dafür aus ihrer Sichtweite begeben hatte, obwohl das unwahrscheinlich war, nachdem ihm ohnehin alles egal zu sein schien. Sie sah sich in der Nähe um, blickte hinter Baumstämme und Büsche. Dann hörte sie einen Schrei und im gleichen Moment flog ein Vogel zwischen niedrigen Ästen panisch hervor, um vor dem Geräusch zu fliehen. Benahra wirbelte herum. Der Schrei war aus dem Dorf zu ihr geschallt. Sie lief los, ohne auf die dürren Äste zu achten, die ihr ins Gesicht schlugen. Der Waldboden war rutschig und sie geriet an dem Abhang, der zum Dorf führte, ins Schlittern. Sie fiel und landete halb hinter einem dornigen Gebüsch, dessen Stacheln sich in ihre Handflächen bohrten.
„Er hat sie umgebracht! Ausgeweidet wie ein Tier! Tötet ihn! Tötet den Menschenmann!“ Es war die Stimme einer Frau und im gleichen Moment erkannte Benahra, wie Miles zwischen den Häusern auftauchte. Er war immer noch nackt und sein Geschlecht baumelte wild hin und her, während er auf Benahra zulief. Seine Hände und Arme waren blutig bis hinauf zu den Ellenbogen. ‚Ausgeweidet wie ein Tier‘, schoss es Benahra durch den Kopf und sie sah vor sich, wie dieser sanfte Mann seine Arme tief in den Körper der Mörderin gestoßen hatte, um ihr die Eingeweide mit bloßen Händen herauszureißen.
Sie war wie erstarrt, als er auf sie zustürmte. Benahra wusste nicht, ob er sie gesehen hatte. Er schlug einen Haken, als eine Frau auftauchte, gefolgt von ein paar anderen Frauen und drei oder vier Männern. Sie erwartete, dass sie ihm folgen und ihn einholen würden, doch sie blieben plötzlich alle stehen. Dann sah Benahra, wie die Frau, die ihm am nächsten war, etwas anhob. Es war eine Armbrust.
„Miles! Pass auf!“, wollte Benahra vor Entsetzen schreien, doch ihre Stimme versagte ihr den Dienst und ihre Kehle war wie zugeschnürt, sodass nur ein Krächzen herauskam. Es war zu spät. Ein Sirren erfüllte bereits die Luft, dann drang der Pfeil in Miles’ Rücken und blieb stecken. Er geriet ins Straucheln, den Mund zu einem Schrei geöffnet. Er lief weiter, wenn auch wesentlich langsamer als zuvor. Einer der Männer reichte der Frau einen neuen Pfeil. Abermals zielte sie auf den Flüchtenden. Der zweite Pfeil bohrte sich durch sein Bein und brachte ihn endgültig zu Fall. Miles grub die Finger in den lockeren Boden, um sich voran zu ziehen. Benahra überlegte fieberhaft, was sie tun könnte, um ihm zu helfen; sie begriff, dass es rein gar nichts mehr gab. Die Frauen und Männer bewegten sich gemächlich auf ihn zu und Benahra suchte Deckung hinter den Büschen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie konnte nur hoffen,
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