Lexikon der Oeko-Irrtuemer
die Castor-Transporte nach Gorleben sponsert die Plutoniumwirtschaft«, hielt Sailer den Blockierern entgegen. 1 Wird eine End- oder zumindest Zwischenlagerung in Gorleben unmöglich gemacht, so heißt die Alternative für die Betreiber der Atomkraftwerke Wiederaufarbeitung der Brennstäbe im Ausland. Dort, in den Anlagen von La Hague in Frankreich und Sellafield in Großbritannien, findet dann die unheimliche Vermehrung des Problems statt. Denn es entsteht letztendlich eine vielfache Menge dessen an radioaktivem Material, was ursprünglich angeliefert wurde.
In den Anlagen werden Plutonium und Uran aus dem strahlenden Abfall isoliert und zu neuen sogenannten MOX-Brennstäben verbacken - wobei große Mengen einer Spaltproduktbrühe entstehen. Das Verfahren belastet die Umwelt erheblich stärker mit radioaktiver Strahlung als etwa ein deutsches Atomkraftwerk. Wiederaufarbeitung führe, so Michael Sailer, »zu mehr Freisetzung von Radioaktivität in die Atmosphäre, zu acht- bis zehnmal mehr Strahlenmüll und zu einem Anwachsen des Plutoniumberges«. 2 Vor allem aber entsteht der Brennstoff für Reaktoren der Zukunft - einem Ausstieg aus der Atomenergie dient dies mit Sicherheit nicht.
Die deutsche Atomwirtschaft mußte Pläne für eine eigene Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf unter dem Eindruck des massiven Protests schon 1989 aufgeben. 1992 ließen die damaligen Chefs der Stromriesen RWE und Veba verlauten, auch die Wiederaufarbeitung im Ausland werde zum »frühestmöglichen Termin beendet«. Einige Betreiber von Atomkraftwerken hatten dann 1994 erste Verträge mit den britischen Wiederaufbereitern gekündigt - das Ende des problematischen Verfahrens schien näher gerückt. Sollte Gorleben nun für eine endgültige - oder zumindest vorübergehende - Lagerung von abgebrannten Brennelementen ausfallen, wären die Folgen für die Atomkraftgegner letztlich absurd: den Wiederaufbereitungsanlagen würde neues Leben eingehaucht. Deren Betreiber freuen sich natürlich über die verloren geglaubte lukrative Kundschaft, die ihnen ausgerechnet von Atomkraftgegnern zugetrieben wird. Dies belegt ein Schreiben der Betreiber des baden-württembergischen Atomkraftwerkes Neckarwestheim. Darin heißt es, bei einer weiteren Verzögerung der Transporte nach Gorleben sei »eine langfristige Bindung an die Plutoniumwirtschaft« die unvermeidliche Folge. 3 »Der Spiegel« resümiert: »Damit tut sich die verführerische Möglichkeit auf, das heftig umstrittene Lagerproblem zumindest vorläufig konfliktarm nach Frankreich zu exportieren.«
Wer wie die 1999 amtierende rot-grüne Regierung aus der Atomkraft aussteigen will, muß letztendlich ein Endlager in Deutschland möglich machen. »Ein Endlager ist und bleibt der Schlüssel zum Ausstieg aus der Atom- und Plutoniumwirtschaft«, schreibt Klaus-Peter Klingelschmitt, Frankfurter Korrespondent der nicht eben atomfreundlichen »taz«.
So verständlich der lokale Protest gegen Gorleben ist, so opportunistisch mutet er bei Leuten an, die vorgeben, global zu denken. Kein Wunder, daß der Streit das Öko-Institut und sogar Greenpeace spaltet. Während beispielsweise deutsche Greenpeace-Aktivisten auf den Castorzug aufsprangen, sehen ihre ausländischen Kollegen die Sachlage völlig anders. »Im Moment«, kommentierte Shaun Burnie, Plutonium-Experte bei Greenpeace International in Amsterdam, »exportieren die Deutschen das Müllproblem ins Ausland. Das ist nicht zu akzeptieren.« 5 Der 1999 amtierende grüne Umweltminister Trittin kündigte denn auch an: »Wir werden den in Frankreich lagernden deutschen Atommüll zurücknehmen.«
1 Der Spiegel Nr. 9/1997. 2 Die Zeit vom 27. 12. 1996. 3 Der Spiegel Nr. 9/1997. 4 die tageszeitung vom 6. 8. 1996. 5 Die Zeit vom 27. 12. 1996.
»Castor-Transporte gefährden Menschenleben«
»Castor« ist die Abkürzung für »cask for storage and transport of radioactive material« - zu deutsch: »Behälter für den Transport und die Zwischenlagerung von radioaktivem Material«. Viele Umweltschützer sind der Meinung, die fahrenden Atommülleimer seien nicht sicher. »Eine ausreichende Sicherheitsprüfung fand nicht statt«, sagt Wolfgang Neumann von der Gruppe Ökologie in Hannover, die im Auftrag von Greenpeace eine Expertise über den Castor-Behälter erstellte - so seien Stoßsicherheit und Feuerfestigkeit nicht getestet, sondern anhand der Daten älterer Typen errechnet worden. »Wer sich nur wenige Stunden in der Nähe eines Behälters
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