Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Waldforschung (Stand: 1996) fließen. Anfangs formulierten Wissenschaftler über 60 Hypothesen zu den Ursachen der Waldschäden. 1 Heute heißen die Hauptverdächtigen:
› Schwefeldioxid aus dem Rauch von Kraftwerken und Industrieanlagen
› Stickoxide aus Autoabgasen (hauptsächlich von Dieselmotoren) und industriellen Feuerungsanlagen
› Ozon, das unter Sonneneinstrahlung durch eine Reaktion der Stickoxide mit dem Sauerstoff der Luft entsteht
› Stickstoffverbindungen aus der Landwirtschaft, die aus Tiermastfabriken bzw. beim Ausbringen von Mineraldünger und Gülle freiwerden
› das Zusammenwirken von mehreren dieser Faktoren
› natürliche Baumkrankheiten, zum Beispiel parasitische Pilze
Strahlen aus Atomkraftwerken und andere Hypothesen gelten als widerlegt oder wenig wahrscheinlich.
Schwefeldioxid (SO 2 ) führt zum sauren Regen und damit zu einer Übersäuerung der Waldböden. Unumstritten ist, daß dies lokale Schäden anrichtet. Wo veraltete Industrieanlagen SO 2 -haltige Rauchgase in die Luft blasen, stirbt der Wald. So verdorren die Bäume im Erzgebirge unter Rauchschwaden, die aus Tschechischen Braunkohlekraftwerken herüberziehen. Sächsische Forscher maßen im Waldboden bei Olbernhau einen Säuregrad, der dem von Essig entspricht (pH-Wert 2,5). 2 Auf Tschechischer Seite sterben in den Kammlagen jetzt sogar schon die Birken ab, die in den siebziger Jahren als Ersatz für die zerstörten Nadelbäume gepflanzt worden waren. 3
Doch ob saurer Regen den Wald auf breiter Fläche dahinrafft, ist bis heute umstritten. Der Münchner Botaniker Otto Kandier trug zahlreiche Befunde zusammen, die der Versauerungshypothese widersprechen. So waren etwa die Bäume einer Waldparzelle auf saurer Braunerde gesünder als die auf einer gekalkten Kontrollfläche. 4 Auch die Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften kommt zu dem Schluß, daß »keine generelle räumliche und zeitliche Korrelation zwischen den jährlich registrierten Kronenzuständen und der Konzentration der bekannten Luftschadstoffe nachgewiesen werden« konnte. 5 Helmut Schulz, Waldschadensexperte vom Bundesforschungsministerium, sieht ebenfalls keine »direkte SO 2 -Wirkung«, räumt aber »Interaktion von SO 2 mit einer Vielzahl weiterer Prozesse« ein, so etwa dem Freiwerden giftiger Aluminiumverbindungen in übersäuerter Erde. 6
Göttinger Waldforscher halten dagegen, daß sie den Zusammenhang zwischen schadstoffhaltigem Regen und Waldschäden endgültig belegt haben. 7 Sie überdachten ein Stück Waldboden, fingen so das Regenwasser ab, reinigten und entsäuerten es. Danach bewässerten sie die Bäume mit dem gesäuberten Regenwasser. Nach fünf Jahren besserte sich die Nährstoffversorgung der Bäume und die Bodenchemie; das Feinwurzelsystem breitete sich erkennbar aus.
Die SO 2 Diskussion hat deutliche umweltpolitische Fortschritte gebracht. Von 1980 bis 1993 sank der Ausstoß an Schwefeldioxid in Deutschland um 58 Prozent. Dies ist hauptsächlich auf die Rauchgasentschwefelung der Braunkohlekraftwerke zurückzuführen. Das politische Instrument dafür war die TA Luft von 1986 (»Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft«). 8
Seit einiger Zeit untersuchen Waldschadensforscher verstärkt die Wirkung von Stickstoffverbindungen, die aus Autoabgasen und der landwirtschaftlichen Düngung in die Böden gelangen. Stickstoff kurbelt zwar als Dünger das Baumwachstum an, behindert aber indirekt die Aufnahme von Mineralstoffen, wie zum Beispiel Magnesium, so daß die Blätter vergilben. Die Emissionen von Stickstoffoxiden (NO x ), die hauptsächlich aus Verbrennungsmotoren stammen, gingen von 1990 bis 1994 um 16 Prozent zurück. Durch den Bankrott großer Tiermastfabriken in Ostdeutschland verringerte sich im gleichen Zeitraum auch der Ausstoß von Ammoniak (NH 3 ) um 18 Prozent. 9
Die direkte Wirkung von Ozon (O 3 ) auf Waldbäume konnte bisher nur in den Gebirgswäldern Kaliforniens nachgewiesen werden. Es gibt jedoch eine Reihe von Wechselwirkungen von Ozon mit witterungsbedingten Faktoren. 10
Für die Schäden an Laubbäumen, insbesondere an Eichen, machen der Botaniker Otto Kandier und andere Forscher parasitische Bodenpilze der Gattung Phytophthora verantwortlich. Der bayerische Waldzustandsbericht von 1996 meldete, daß diese »eine entscheidende Rolle im Krankheitsgeschehen der neuartigen Eichenschäden spielen«.
Jenseits aller Debatten über Luftschadstoffe gilt als erwiesen, daß
Weitere Kostenlose Bücher