Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
eine Weile erhalten und schiebt sich im Ganzen Hunderte von Kilometern in die Erde hinein? Bestimmt ist es dunkel und ungemütlich dort.
Vermutlich spielen alle genannten Prozesse eine Rolle bei der globalen Plattenwanderung. Die Kräfte an Subduktionszonen sind offenbar am stärksten und können zu atemberaubenden Geschwindigkeiten von 15 Zentimetern pro Jahr führen. Andere Mechanismen dürften aber auch beteiligt sein, schon deshalb, weil nicht alle Platten an Subduktionszonen angrenzen. Ebenfalls noch nicht aus dem Spiel ist die Möglichkeit, dass die Anziehung zur Bewegung der Platten beiträgt.
Jede Menge offene Fragen gibt es auch um den Verlauf der Plattenwanderung. Einigermaßen sicher rekonstruieren lässt sich nur die «jüngere» Geschichte der Platten, also die letzten 500 Millionen Jahre: Vor rund 250 Millionen Jahren bildeten alle heute bekannten Kontinente eine einzige riesige Landmasse, den Superkontinent Pangäa. Man konnte, wenn man gut zu Fuß war, von Alaska bis nach Australien laufen, ohne zwischendurch erst das Ruderboot erfinden zu müssen. Noch etwas weiter zurück in der Zeit, ungefähr vor einer Milliarde Jahre, hatten sich die Erdteile schon einmal zu einem Superkontinent zusammengefunden, den man Rodinia nennt. Anders als von Pangäa gibt es von Rodinia nur sehr ungenaue Landkarten: Es ist beispielsweise umstritten, wo sich Sibirien zu dieser Zeit aufhielt. Zum Glück waren Weltreisen damals nicht besonders populär, man wäre in Teufels Küche geraten. Aber eine Milliarde Jahre ist weniger als ein Viertel der Erdgeschichte, und wie die Kontinente in den ersten dreieinhalb Milliarden Jahren aussahen, ist nur mit großer Mühe zu ergründen. Vermutet wird, dass in unregelmäßigen Abständen Superkontinente entstehen und wieder zerfallen. Die ältesten Hinweise auf einen Superkontinent, den wir Vaalbara nennen, stammen von Gesteinen, die vielleicht seit mehr als drei Milliarden Jahren über die Erde wandern.
Für die ersten drei Milliarden Jahre der Erdgeschichte ist jedoch nicht einmal klar, ob es überhaupt Plattentektonik gab und ob sie, wenn es sie gab, genauso funktionierte wie heute. Welche enormen Kräfte führten dazu, dass sich Erdteile irgendwann in grauer Vorzeit in Bewegung setzten? Die frühe Erde unterschied sich in vielerlei Hinsicht von dem, was wir heute vorfinden, zum Beispiel war sie im Inneren deutlich besser beheizt. Darum könnte sich der Antrieb der Plattentektonik, der, wie oben beschrieben, viel mit den Zuständen im Erdinnern zu tun hat, im Laufe der Zeit stark verändert haben – wie, das ist umstritten. Das Wissenschaftsmagazin «Nature» berichtete im Juli 2006 von einer Konferenz zur frühen Plattengeschichte, auf der die Teilnehmer, allesamt Experten auf diesem Gebiet, darüber abstimmten, wann die Plattentektonik auf der Erde einsetzte. Die Mehrheit immerhin vermutet einen frühen Start der Wanderung, irgendwann vor drei bis vier Milliarden Jahren – genauer kann man das bisher kaum sagen. Andere glauben an einen wesentlich späteren Beginn, und wieder andere schließen nicht aus, dass die Kontinente zwischendurch immer mal wieder längere Zeit stehenblieben, vermutlich weil sie kurz Luft holen müssen.
Plattentektonik gehört keineswegs selbstverständlich zum Repertoire von Planeten. Von anderen Planeten im Sonnensystem kennt man so ein unstetes Verhalten zumindest aus jüngerer Zeit nicht. Der Mars immerhin könnte früher einmal herumwandernde «Kontinente» besessen haben: Daten der Raumsonde «Mars Global Surveyor», die ihn seit 1999 umkreist, lassen auf Plattentektonik schließen, wie man sie von der Erde kennt. Das muss allerdings Milliarden Jahre her sein. Venus verfügt zwar über eine Oberfläche, die in vielerlei Hinsicht der der Erde ähnelt, zum Beispiel findet man Gebirge, Vulkane, tiefe Schluchten wie den Grand Canyon, alles Dinge, die auf der Erde durch Plattentektonik entstehen. Venus jedoch schafft es womöglich ohne – ob und wie, ist umstritten. Der große Jupitermond Ganymed allerdings, einer der vier Monde, die bereits Galileo Galilei entdeckte, zeigt schöne plattentektonische Verwerfungen und könnte daher wertvolle Hinweise auf Ursache und Wirkung der Kontinentaldrift liefern. Immer nur den eigenen Planeten zu betrachten, macht schließlich irgendwann betriebsblind.
Ebenso ungewiss wie ihre Vergangenheit ist die Zukunft der Platten auf der Erde, die man aus der heute gemessenen Bewegung vorherzusagen versucht. Zurzeit zum
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