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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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Zentimeter pro Jahr); niemand kann sich hinsetzen und ihnen dabei zusehen. Stattdessen argumentiert man indirekt: Wenn man Gestein, dessen Eigenschaften auf eine Entstehung am Äquator hindeuten, heute in Sibirien vorfindet, dann muss Sibirien früher an einer anderen Stelle gelegen haben. Auch wenn es heute so tut, als wäre es vollkommen unschuldig.
    Aber wie funktioniert sie genau, die Plattentektonik? Obwohl die Idee auf den ersten Blick einfach aussieht, ist sie in Wirklichkeit erschreckend komplex. Die Erdoberfläche besteht aus einigermaßen soliden, etwa 20 – 80 Kilometer dicken «Platten», die auf einer zähflüssigen Schicht gleiten. Die meisten Platten enthalten einen Kontinent und zusätzlich Teile des Meeresbodens. An den Grenzen zwischen den Platten geht es dramatisch zu: Im einfachsten Fall schrammen zwei Platten lediglich aneinander vorbei. Es kann zu komplexen Verwerfungen, Erdbeben und Vulkanismus kommen, wie in Kalifornien, wo sich die nordamerikanische und die pazifische Platte berühren. In anderen Fällen bewegen sich zwei Platten voneinander weg; der entstehende Zwischenraum wird aus den tieferen Schichten der Erde mit flüssigem Gestein, Magma, ausgefüllt. Es bildet sich neue Erdkruste, das Meer wird größer, ein Vorgang, der heute etwa zwischen afrikanischer und südamerikanischer Platte mitten im Atlantik stattfindet. Wenn aber Ozeane wachsen und die Platten auseinanderdriften, wo laufen sie hin?
    Eine frühe Erklärung des Phänomens: Die Erdoberfläche dehnt sich einfach immer weiter aus wie ein Ballon, der mit Luft gefüllt wird. Für diese Hypothese fehlt ein glaubhafter Beweis, zum Beispiel fand niemand je die Stelle, an der der Ballon aufgeblasen wird. Stattdessen setzte sich schnell die Erkenntnis durch, dass parallel zur Erzeugung neuer Erdkruste anderswo Platten vernichtet werden: Sie zerstören sich gegenseitig in gigantischen Auffahrunfällen. Genauer gesagt schiebt sich eine Platte unter die andere, ein Vorgang, den man Subduktion nennt und der mit sehenswerten Folgen für die beteiligten Platten verbunden ist. Den Himalaja zum Beispiel gibt es nur, weil sich die indische Platte rücksichtslos unter die eurasische schiebt und sie so von unten anhebt.
    Wenn man, an diesem Punkt angekommen, die typische Wissenschaftlerfrage «Warum?» stellt, ist man beim Unwissen angekommen. Warum etwa bewegen sich die Platten überhaupt? Der «Motor» der Plattentektonik, da ist man sich einig, liegt tief im Innern der Erde, wo durch radioaktive Prozesse Energie freigesetzt wird – ein vorsintflutliches Kernkraftwerk. Die erzeugte Hitze wird durch sogenannte Konvektion nach außen transportiert, ein Mechanismus, den man aus jedem Kochtopf kennt: Heißes Wasser steigt nach oben, kaltes sinkt an anderer Stelle nach unten ab. Im Erdmantel passiert genau das Gleiche. Damit alles schön langsam abläuft und der Planet nicht überkocht, verwendet die Erde anstatt Wasser allerdings Gestein. Vieles an der Erdmantelkonvektion ist unverstanden, zum Beispiel wissen wir nicht genau, wo eigentlich Material nach oben aufsteigt und wo es absinkt. Sicher erscheint jedoch, dass die großräumigen Konvektionsbewegungen in irgendeiner Form beim Antrieb der Kontinentaldrift eine Rolle spielen.
    Zum einen können Platten wohl direkt auf den Konvektionsströmen «reiten». Wenn die Wurzeln der Kontinente fest genug mit der unter ihnen befindlichen zähflüssigen Masse verbunden sind, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als deren Fließbewegung widerwillig zu folgen. Möglicherweise treibt Nordamerika zur Zeit auf diese Art und Weise Richtung Asien. Zwei andere Prozesse sind wahrscheinlich in Subduktionszonen am Werk: Zum einen können Konvektionsströme Platten nach unten «saugen», die dagegen ähnlich hilflos sind wie ein Schwimmer, der von einem Haifisch in die Tiefe gezogen wird. Zum anderen kann die Platte aber auch schlicht untergehen, das heißt an einem Ende durch ihr Gewicht in den Schichten unter ihr versinken. Der Rest der Platte wird mitgezerrt, auch spektakuläre Protestaktionen wie Erdbeben und Tsunamis ändern daran nichts. Beide Prozesse, «Saugen» und «Versinken», bewirken letztlich dasselbe – der Rand einer Platte verschwindet allmählich von der Erdoberfläche –, aber die treibende Kraft ist in einem Fall Konvektion, im anderen Schwerkraft. Was nach der Verschleppung ins Erdinnere mit den Plattenteilen geschieht, ist wiederum nicht klar. Zerfällt die Platte gleich oder bleibt sie

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