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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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Stadtführung zu unsichtbaren und nicht existierenden Sehenswürdigkeiten, dann könnte man die fehlende Tafel auf halbem Weg zwischen den U-Bahnhöfen Möckernbrücke und Gleisdreieck betrachten. Dort verlaufen S-Bahn und Landwehrkanal heute wieder ordentlich auf zwei Etagen.
    Dass der Tunnel von innen heraus (also nicht etwa durch Artilleriebeschuss von außen) und mit enormer Sprengkraft zerstört wurde, ist einer der wenigen unstrittigen Punkte. Die teilweise über einen Meter dicke Stahlbetondecke wurde auf mehreren Metern aufgerissen. Einem Berliner Sprengunternehmen zufolge waren dafür Sprengstoffmengen im Tonnenbereich, mehrstündige Vorbereitungsarbeiten und genaue Ortskenntnisse erforderlich. Das einströmende Wasser aus dem Landwehrkanal floss zum Bahnhof Friedrichstraße, von dort in die heutige U6, am U-Bahnhof Stadtmitte in den Tunnel der heutigen U2 und füllte am Alexanderplatz gleich noch die Linien U8 und U5. Damit stand der größte Teil der unterirdischen Berliner Verkehrswege unter Wasser.
    In vielen Berichten über die Flutung ist von einem Befehl zur Sprengung die Rede, der allerdings bisher nicht nachgewiesen werden konnte. Die Kulturhistorikerin Karen Meyer wendet in ihrem Bericht für das Kreuzberg-Museum ein, die Deutschen könnten kein großes Interesse an einer Sprengung gehabt haben, da die U- und S-Bahn-Schächte SS und Wehrmacht als letzte Bastion dienten. Für die Russen war es zum vermuteten Zeitpunkt der Sprengung bereits einfacher, oberirdisch vorzudringen, sodass man sie durch die Flutung des Tunnels kaum in ihrem Vormarsch behindern konnte. Andererseits hätte die Rote Armee zwar ein Interesse an der Flutung haben können, weil so die letzten deutschen Widerstandsnester «ausgespült» werden konnten, man verfügte aber auf russischer Seite wahrscheinlich nicht über die nötigen detaillierten Pläne des Berliner Untergrunds.
    Einige Berichte ohne nachvollziehbare Quellenangaben sprechen vom 26. April als Datum der Sprengung. Das Ostberliner Standardwerk «Die Befreiung Berlins 1945» nennt den 27. April, in der dort als Quelle genannten Akte des Reichsbahnarchivs findet sich jedoch nur der 2. Mai. Der 28. April taucht ebenfalls unbelegt in einigen Quellen auf, und ein einzelner, nicht weiter verifizierbarer Bericht spricht von einer Staubexplosion im S-Bahn-Schacht bei der Möckernbrücke am 29. oder 30. April, bei der die Betondecke beschädigt worden und Wasser in den Tunnel eingedrungen sei. Eine Staubexplosion genügt jedoch nicht, um die beschriebenen Schäden zu verursachen.
    Einen indirekten Hinweis auf den Zeitpunkt der Sprengung liefert die Räumung des heute noch existierenden Hochbunkers am Anhalter Bahnhof. 4000 bis 5000 Frauen, Kinder und alte Menschen aus den umliegenden Wohngebieten, die dort Zuflucht gesucht hatten, wurden am 1. Mai 1945 von der SS durch den S-Bahn-Tunnel evakuiert, wobei «evakuiert» hier im weniger gebräuchlichen Sinne von «von einem relativ sicheren Ort vertrieben» verwendet wird. Die Zivilisten zogen über den S-Bahnhof Potsdamer Platz zum Bahnhof Friedrichstraße und von dort zum heutigen U-Bahnhof Zinnowitzer Straße. Zu diesem Zeitpunkt stand stellenweise Wasser im Schacht, das aber vermutlich aus Rohrbrüchen durch Artilleriebeschuss stammte und nicht über Knie- bis Hüfthöhe stieg. Das Datum der Bunkerräumung ist gut belegt. Wäre die Tunneldecke zu dieser Zeit gesprengt worden, hätte man sich zum einen im Tunnel nicht mehr fortbewegen können, zum anderen hätten sich unter den vielen tausend Evakuierten zumindest Ohrenzeugen der Explosion finden lassen müssen. Gerade im Inneren des Tunnels muss diese Explosion sehr viel lauter als der gleichzeitige Artilleriebeschuss gewesen sein; zudem hätte man in den umliegenden Bahnhöfen die Druckwelle gespürt.
    Die meisten Berichte sprechen vom 2. Mai als Datum der Sprengung, ohne dabei Quellen zu nennen. In einem internen Bericht für die Reichsbahndirektion Berlin etwa heißt es: «Am 2. Mai morgens 7 Uhr 55 erschütterte eine gewaltige Detonation die Gegend der Kreuzung des Landwehrkanals mit dem Tunnel der Nordsüd-S-Bahn …» Der Verfasser, Rudolf Kerger, der als Bauabteilungsleiter bei der Reichsbahn für die Wiederherstellungsarbeiten am Tunnel zuständig war, gibt leider ebenfalls keine Quelle an, sodass unklar ist, ob ähnliche Datierungen an anderer Stelle auf Kerger, dessen Quellen oder ganz andere Dokumente zurückgehen. Im vom Berliner Landesarchiv bearbeiteten Band

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