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Liberator

Liberator

Titel: Liberator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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das einzige, das er ihr dieser Tage anbieten konnte.
    Erst musste er jedoch nah genug an sie herankommen, um überhaupt ein Treffen verabreden zu können. Aber wie? Hier war es jedenfalls unmöglich. Außerdem würde der Rat jetzt die feierliche Aufbahrung von Zebs Leichnam anordnen, vermutlich in seiner Kabine, wo sich die Trauernden dann einfinden würden.
    Es ging also erst später. Riff würde die anderen Ratsmitglieder an den Tatort begleiten. Vielleicht könnte er sich irgendwo auf dem Weg dorthin verstecken … Col versuchte sich die wahrscheinlichste Route zu überlegen: Sie würden sicherlich den Dampffahrstuhl nehmen, aber gewiss nicht den, in dem Zeb ermordet worden war. Also mussten sie einen in der Nähe benutzen und dann auf Deck 1 zum Tatort laufen. Dort wurden die Nahrungsvorräte aufbewahrt, und in diesem Labyrinth aus engen Gängen und dunklen Ecken konnte er Riff bestimmt kurz beiseiteziehen. Er hielt seinen Kopf gesenkt und schlängelte sich durch die Menge zum Ausgang.
    03
    Col vermied es, einen Fahrstuhl zu nehmen, stattdessen rannte er die Treppen hinab. Er musste vierundvierzig Decks überwinden.
    Die Oberdecks hatten sich seit der Revolution sehr verändert. Die Dreckigen hatten viele der Räume in Besitz genommen, in denen früher Angehörige der Elite gewohnt hatten, und die Korridore dazwischen zu gemeinsam genutzten Flächen umgestaltet, auf denen jetzt Stühle und kleine Tische standen. Manche Decks waren frisch gestrichen – in freundlichen Gelb- oder Blautönen anstelle der dunklen Grün- und Brauntöne von früher. Aber da es nur etwa zweitausend Dreckige gab, also viel weniger, als es vorher Bewohner der oberen Decks gegeben hatte, standen auch viele Räume leer.
    Col eilte weiter hinunter, vorbei an der Westmoreland-Galerie, vorbei an den Handwerksbetrieben auf den Fertigungsdecks. Hier und dort standen kleine Denkmale, die an besondere Triumphe oder heroische Tote der Revolution erinnerten. Das übliche Denkmal war eine Pyramide aus drei fest zusammengebundenen Gewehren, deren Läufe nach oben zeigten.
    Er kam an einem der Protzer-Ghettos vorbei, einer Ansammlung miteinander verbundener Räume, die früher einen Kindergarten beherbergt hatten. Die Flure um das Ghetto waren kahl und alle Türen verschlossen.
    Er hielt den Kopf gesenkt und vermied jeglichen Augenkontakt mit den Dreckigen, die er unterwegs antraf. Er konnte ihre Feindschaft und ihr Misstrauen geradezu körperlich spüren, wenn sie plötzlich erstarrten. Es war nur allzu deutlich, dass jeder über den Mord Bescheid wusste, egal ob er nun bei der Versammlung dabeigewesen war oder nicht.
    Als Col endlich Deck 1 erreichte, schmerzten seine Waden, und seine Oberschenkel fühlten sich an wie Pudding.
    Er setzte seinen Weg durch die unzähligen Kisten und Kästen und Säcke und Fässer in geringerem Tempo fort. Die Luft war zum Schneiden, über allem lag der Geruch von Trockenfrüchten und geräuchertem Fisch. Manche Holzkisten waren bis unter die Decke gestapelt, andere nur bis Schulterhöhe.
    Als er den Hauptgang erreicht hatte, von dem er meinte, dass die Ratsmitglieder ihn nehmen würden, versteckte er sich in einem kleinen Nebengang. Wie lange würde er wohl warten müssen?
    Fünf ganze Tage waren seit ihrem letzten heimlichen Treffen vergangen. Von Mal zu Mal wurde es für Riff schwieriger, die verstohlenen Vorkehrungen für ihre kostbaren gemeinsamen Stunden zu treffen. Er wusste, dass es ihre Position gefährden würde, wenn sie sich mit ihm zeigte, und doch musste er sie sehen.
    Direkt nach der Befreiung war alles ganz anders gewesen. Damals mussten sie ihre Freundschaft nicht ganz und gar vor der Öffentlichkeit verbergen; sie konnten sich zumindest gemeinsam irgendwo sehen lassen. Er hatte sich vorgestellt, dass sie sich immer näher kommen würden, bis sie öffentlich machen konnten, dass sie verpartnert waren. Aber stattdessen hatten sie sich immer weiter voneinander entfernt. Alles wegen der Sabotageakte und des wachsenden Misstrauens zwischen Dreckigen und Protzern.
    Mit der Befreiung hatte sich alles ins Gegenteil verkehrt. So, wie sie sich jetzt nicht mehr mit ihm in der Öffentlichkeit sehen lassen konnte, so hatte er sich unter dem alten Regime nicht mit ihr erwischen lassen dürfen. Sie musste damals, als Gesindling verkleidet, heimlich in sein Zimmer schleichen, um ihn ihre Kampftechniken zu lehren, während er ihr das Lesen beibrachte. Er sah sie vor sich, auf seinem Bett sitzend und das aufgeschlagene

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