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Liberty 9 - Todeszone

Liberty 9 - Todeszone

Titel: Liberty 9 - Todeszone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schröder
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herab und seine Schultern waren nach vorne gefallen. Statt seine Augen auf die Versammlung zu richten, hielt er den Blick auf einen imaginären Punkt zu seinen Füßen gesenkt.
    Sie fragte sich, was wohl jetzt in ihm vorgehen mochte. Immerhin wusste er, dass seine Welt gleich in sich zusammenstürzen würde. Es würde Blut fließen, selbst wenn ihnen der Umsturz rasch gelang, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach auch das von einigen Oberen. Die Wut würde unbeherrschbar sein und sich ihre Opfer suchen, und nichts würde den Ruf nach sofortiger Vergeltung zum Schweigen bringen können, bevor nicht einige Master und Prinzipalen für ihre Verbrechen mit ihrem Leben bezahlt hatten.
    Angst hatte Templeton bisher keine gezeigt. Eher Erleichterung, dass sein falsches Spiel vorbei war. Er hatte ihnen geholfen, die Mountain Men unbemerkt in kleinen Gruppen erst durch den Wald und die Parkanlagen und dann über die Servantenstiege in den großen Saal zu bringen. Er hatte ihnen auch die stark gesicherte Waffenkammer geöffnet und war ihnen dabei zur Hand gegangen, einige der Waffen im Audimax an strategisch wichtigen Stellen zu verstecken. Und er hatte ihnen in seinem großen Dienstzimmer gezeigt, wie die Lautsprecheranlage, mit der man jede Ecke im Tal erreichen konnte, und die Funkstation zu bedienen waren und welche Meldungen Hyperions Leitstelle im fernen Presidio zweimal täglich erwartete.
    Aber warum hatte Templeton das getan?
    Nach all den Jahren, die er unzählige junge Menschen geistig verführt, auf den Cleansing-Stuhl gebracht und in den sicheren Tod im Lichttempel geschickt hatte? Quälte ihn sein Gewissen dermaßen, dass er glaubte, sich für seine Untaten selbst auf das Härteste strafen zu müssen? Aber was er auf sein Gewissen geladen hatte, war unverzeihlich und durch nichts wieder…
    Kendira schreckte aus ihren Gedanken auf. Der Wortlaut des Morgenlobs war ihr und jedem anderen Elector längst so in Fleisch und Blut übergegangen, dass selbst die kleinste Abweichung augenblicklich Aufmerksamkeit und Verwunderung erregte. Und genau so etwas war eben geschehen. Whitelock hätte an Templetons Stelle das Wechselrezitativ mit dem Zuruf » So geht denn hin und dient! « abschließen müssen. Und darauf hätte die Gemeinschaft mit einem letzten donnernden » Lob und Dank sei dir, Erhabene Macht! « geantwortet. Diese Antwort lag sogar Kendira auf der Zunge– als Templeton das morgendliche Ritual genau an dieser Stelle unterbrach. Er trat zu Whitelock, deckte das Mikrofon am Ende des dünnen Kopfbügels mit der Hand ab und raunte ihm etwas zu.
    Whitelock machte ein verblüfftes Gesicht, nickte dann knapp und räumte beflissen den Platz mitten auf der Plattform vor den hohen Flügeln des Portals.
    Ein leises Raunen der Verwunderung ging durch die Versammlung. Keiner konnte sich daran erinnern, dass es im Morgenlob jemals eine Unterbrechung gegeben hätte. Und alle warteten gespannt, was wohl der Grund dafür sein mochte, dass es ausgerechnet ihr Primas war, der diesen einzigartigen Bruch in ihrer Tradition beging.

14
    Für einen langen Augenblick stand Templeton schweigend da und ließ seinen Blick über die Reihen der Electoren, der Servanten und der Guardians schweifen. Auf dem Vorplatz herrschte wieder völlige Stille. Es war eine angespannte, fast atemlose Stille. Alle wussten, dass ein solcher Bruch im morgendlichen Ritual nur durch einen außerordentlicheren Anlass zu rechtfertigen war.
    » Libertianer! « , riefTempleton ihnen schließlich zu. » Der neue Tag, der über Liberty9 heraufzieht, wird ein ganz besonderer Tag sein. «
    Kendira war sicherlich nicht die Einzige, der auffiel, wie brüchig und müde die Stimme des Primas klang. Templeton besaß eigentlich eine überraschend kräftige und ausdrucksstarke Stimme, wie man sie bei einem Mann von seiner hageren, asketischen Gestalt kaum vermuten würde, und er verstand sich auch darauf, sie mit der ganzen Autorität seiner hohen Stellung einzusetzen.
    Er schien selbst zu bemerken, wie schwach und energielos er klang. Denn als er fortfuhr, kehrten augenblicklich die markige Kraft und die Autorität in seine Stimme zurück, wie man sie von ihm gewohnt war.
    » Alle Electoren und Servanten sowie alle Oberen begeben sich sogleich zu einer außergewöhnlichen Vollversammlung ins Audimax! Ich will dort den gesamten Konvent versammelt sehen– und zwar ohne jede Ausnahme! « , ordnete er an und sorgte damit selbst bei den Mastern und Prinzipalen für reichlich

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