Liberty 9 - Todeszone
Ruhe, bevor die Guardians in der Kaserne misstrauisch wurden und auf Gegenmaßnahmen sannen.
Templeton atmete tief durch. » Nun denn, packen wir den Stier bei den Hörnern und bringen wir es hinter uns! « , hörte Kendira ihn leise sagen, bevor er ihr den Rücken kehrte und die Bühne über den Seitenaufgang erklomm. Und nur Kendira hörte ihn noch düster murmeln: » Alles findet einmal ein Ende. Und dieser Morgen ist so gut wie jede andere Stunde, um mit dem Leben abzuschließen! «
16
Indessen hatte Zeno das Rednerpult in die Mitte der Bühne gerollt und das eingebaute Mikrofon über die Bodenbuchse mit der Lautsprecheranlage verbunden. Er kehrte zu Carson auf der linken Seite zurück und betätigte dort einen Wandschalter. Die Leinwand hob sich und der schwarze Vorhang mit dem Hyperion-Kubus kam wieder zum Vorschein. Eine kaum merkliche Bewegung ging durch den schweren, gewellten Stoff.
Bis auf Kendira, Nekia und Hailey nahm ihn keine der fast dreihundert Personen wahr, die unten im Saal saßen. Wie auch keiner darauf achtete, dass die hohen Bogenfenster das erste Grau am Himmel über den Bergspitzen einfingen und dass Dante, Carson und Zeno sich noch immer an den Seitentreppen der Bühne aufhielten und sich neben die Aluminiumkisten gesetzt hatten. Die Klappverschlüsse standen schon offen.
Aller Augen waren voller Anspannung, aber auch mit einiger Unruhe und bei den Oberen mit offenkundigem Missmut auf Primas Templeton gerichtet, der hinter das Pult getreten war. Umständlich bog er sich das Mikro zurecht und stand dann lange Sekunden schweigend da, wie tief in Gedanken versunken, und den Blick unverwandt nach unten auf die schräge Platte gerichtet, als studierte er auf der Ablage seine Notizen.
Doch dort lag nichts. Es gab kein Redemanuskript. Schon gar nicht für das, was er zu tun sich entschlossen hatte, nämlich schonungslose Wahrheit und ebensolche Selbstanklage.
Es war so still geworden, dass Kendira fürchtete, die Mountain Men auf der Empore und hinter dem Vorhang könnten sich schon mit einer einzigen unbedachten Bewegung verraten. Aber noch mehr fürchtete sie, dass sie selbst sich verriet– und vor allem, dass sie gleich nicht die notwendige Kaltblütigkeit aufbrachte und kläglich versagte, wenn es hart auf hart kam.
Warum nur hatte sie darauf bestanden, dass sie diesen Part übernahm? Wem meinte sie etwas beweisen zu müssen?
Nun wünschte sie, die Aufgabe doch einem der Jungs überlassen zu haben. Selbst Zeno hatte sich ja dafür angeboten. Aber sie hatte sich letztlich durchgesetzt, hatte bekommen, was sie für sich in Anspruch genommen hatte, und jetzt war es zu spät, um daran noch etwas zu ändern.
In starrer Verkrampfung saß sie eine Reihe hinter Commander Ferguson. Ihre übernächtigten Augen brannten und ihr Mund war ausgetrocknet. Unter der Kutte umklammerte ihre Hand das Griffstück der Waffe mit so viel Kraft, dass es ihr bis in den Oberarm wehtat.
Aber auch jede andere Faser ihres Körpers war bis zum Zerreißen angespannt. In ihren Ohren rauschte das Blut, als hätten sich dort die Schleusen eines Stausees geöffnet, begleitet vom wilden und lauten Hämmern ihres Herzens. Und die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Templeton rührte sich nicht und schien für immer in finsterem Schweigen verharren zu wollen. Quälend langsam zogen sich die Sekunden hin, während sie innerlich tausend kleine Tode starb.
Erhabene Macht, fang endlich an, Templeton!, schrie es in ihr. Damit es endlich passiert und ich weiß, ob ich es auch wirklich kann!
Templeton hob den Kopf und atmete einmal tief durch. Sein asketisches Gesicht wirkte noch ausgemergelter und knochiger als sonst schon. Die Haut schien einen gelblich-grauen Farbton angenommen zu haben und brüchig wie altes Papier zu sein. Seine Hände legten sich um die seitlichen Leisten der Pultplatte, als brauchte er festen Halt für das, was er zu sagen hatte.
» Libertianer… «
Endlich beginnt er! Aber wehe dir, du hältst nicht Wort, Templeton!
Kendira beugte sich scheinbar aufmerksam vor, als wollte sie sichergehen, dass ihr kein Wort des Primas entging. In Wirklichkeit ging es ihr darum, die Bewegungen unter ihrer Kutte vor ihrer ahnungslosen Sitznachbarin Alisha zu verbergen. Ganz langsam zog sie den Revolver unter dem eng anliegenden Body hervor. Die Trommel kratzte über ihre Haut, und das Metall war noch immer ein schaurig kalter und schwerer Fremdkörper, der gegen ihren Unterleib drückte.
» Nein, das ist falsch «
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