Liberty 9 - Todeszone
, korrigierte sich Templeton sogleich. » Es gibt keine Libertianer, es hat sie nie gegeben. Jedenfalls nicht in dem Sinne, wie wir es euch, die Electoren und Servanten, all die Jahre haben glauben lassen. Es hat immer nur Lügner und Belogene gegeben, vom ersten Tag an, über fünfzig Jahre lang, bis zu dieser Stunde! «
Augenblicklich regten sich Verblüffung und Unruhe im Saal. Und während die Servanten und Electoren sich verstörte und verständnislose Blicke zuwarfen, machte sich unter den Oberen Fassungslosigkeit und Bestürzung breit.
Prinzipal Whitelock, der in der Mitte der ersten Reihe saß, wurde aschgrau im Gesicht. Ihm dämmerte offenbar als Erstem, was Templeton vorhatte. » Primas! Was reden Sie da? Sie müssen nicht bei Sinnen sein! « , stieß er mit schriller Stimme hervor.
Dante, Zeno und Carson beugten sich vor, stützten sich auf die Alukisten und hatten scheinbar zufällig alle die Hand am Griff eines Deckels. In Wirklichkeit warteten sie angespannt auf das verabredete Zeichen, um die Kisten aufzuklappen und zu den Sturmgewehren zu greifen. Ein jedes war durchgeladen und hatte ein volles Zwanzig-Schuss-Magazin im Patronenschacht. Sie waren bereit, die Waffen im nächsten Moment in Anschlag zu bringen– und auch den Abzug zu betätigen, falls man ihnen keine andere Wahl ließ!
Templeton ignorierte seinen ehrgeizigen Stellvertreter, der ihn lieber heute als morgen beerben und als Primas ersetzen wollte. » Aber bevor ich das weiter ausführen kann, muss dafür gesorgt werden, dass es keine unliebsamen Störungen gibt und ich der ungeteilten Aufmerksamkeit aller sicher sein kann « , fuhr er mit trockenem, sarkastischem Unterton fort. » Es hat deshalb alles seine Richtigkeit, was hier im nächsten Moment geschehen wird. « Er hielt kurz inne und räusperte sich hinter vorgehaltener Hand. » Ich habe ihnen… die Waffen selbst ausgehändigt! «
Der Primas hatte den letzten Satz noch nicht ganz ausgesprochen, als Carson, Zeno und Dante auch schon in Aktion traten. Die Kistendeckel flogen auf und im nächsten Moment sprangen sie mit matt glänzenden Sturmgewehren in den Händen auf die Füße, ließen die hohlen Metallrahmen der Schulterstützen mit einem schnellen Griff einrasten und richteten die Gewehrläufe auf die Oberen.
Gleichzeitig mit ihnen hatte sich Kendira blitzschnell aus ihrem Sitz erhoben, den Revolver aus der Kutte gezogen und auf einer Höhe mit Commander Ferguson auf dem Gang Aufstellung genommen. Sie spannte den Hahn und hielt den Revolver mit beiden Händen. Sie fürchtete, ihre Waffenhand könnte zittern, doch schlagartig hatte sich eine kalte, harte Ruhe ihrer bemächtigt. Alle Ängste und Unsicherheiten verflogen wie Morgendunst im warmen Sonnenschein. Nicht einmal der Hauch eines Zweifels blieb zurück, ob sie ihre Aufgabe notfalls auch bis zum bitteren Ende würde erfüllen können. Ein Gedanke an die zwölfjährige Sinfora, zum Cleansing auf den Stuhl geschnallt und mit Stromstößen zu Tode gebracht, genügte, um sich dessen absolut gewiss zu sein.
Der kurze Lauf zielte auf Commander Fergusons Brust. Aber es bedurfte nur eines winzigen Schwenks, um First Lieutenant Blake oder Lieutenant Shelton vor die Mündung zu bekommen. Sie war nicht versessen darauf, Blut zu vergießen. Aber sie würde abdrücken und kein Erbarmen zeigen, wenn ihr keine andere Wahl blieb. Bis zum Letzten würde sie ihre Freiheit und die ihrer Gefährten gegenüber den verfluchten Oberen und Guardians verteidigen!
Trotz Templetons Vorwarnung erhob sich ein entsetzter Aufschrei aus der Menge, als oben auf der Bühne die Waffen zum Vorschein kamen. Der Schrei ging in ein schrilles Stimmengewirr über. Einige sprangen in kopfloser Angst auf, als wollten sie die Flucht ergreifen. Andere rutschten von den Sitzen und kauerten sich hinter die Rückenlehnen des Vordersitzes.
Es waren überwiegend Obere, die aufsprangen und spontan an Flucht dachten.
Kendira bemerkte aus den Augenwinkeln, dass sich hinten am Ende des Saals die Tür zur Empore geöffnet hatte. Gut. Die Wolf-Leute standen also bereit, um vor den Ausgängen Position zu beziehen und den Saal abzuriegeln. Aus dem Audimax würde keiner entkommen, jedenfalls nicht lebend.
» Ruhe! Ruhe, habe ich gesagt! Und keiner verlässt seinen Platz! Setzen! Setzen! « , donnerte Templeton ins Mikrofon, und seine Autorität bewirkte selbst in dieser extremen Situation, dass sich der Lärm umgehend legte und zu einem aufgeregten Geflüster herabsank.
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