Liberty 9 - Todeszone
weil es einfach jemand tun muss! « , sagte sie mit gequälter Miene. » Aber wenn ich wirklich eine Wahl hätte und mit dieser Entscheidung auch leben könnte, würde ich hierbleiben. Und ich wette, den anderen geht es nicht anders. «
Dante blickte einige Sekunden lang mit nachdenklicher Miene hinunter auf das Tal. » Irgendwie ist es schon komisch « , sagte er schließlich versonnen, » wie sich der Blickpunkt plötzlich ändern kann. «
» Der Blickpunkt worauf? «
» Auf das hier und was es darstellt « , sagte er und machte eine weit ausgreifende Geste, die das ganze Tal meinte. » Es war zwölf Jahre lang meine geliebte Heimat. «
Kendira nickte.
» Aber als man mich bei den Selectionen nicht zum Elector berief, sondern zu einem Leben als Servant verurteilte, von da an habe ich es gehasst, hier eingeschlossen zu sein. Doch jetzt… « Er hielt kurz inne und ließ seinen Blick über das weite, fruchtbare Liberty Valley schweifen. » …jetzt sehe ich das Tal, das mir viele Jahre lang verhasst gewesen war, auf einmal wieder mit anderen Augen, eben als ein wunderschönes Stück Land und als Heimat. «
» Es ist nun mal die einzige Heimat, die wir kennen « , sagte Kendira wehmütig und dachte kurz daran, was Templeton ihr noch anvertraut hatte, nämlich dass sie alle keine Eltern hatten– zumindest nicht im gewöhnlichen Sinne. Jeder von ihnen war das Ergebnis einer künstlichen Befruchtung im Labor, und jeder war von einer bezahlten Ersatzmutter ausgetragen worden, der man das Kind gleich nach der Geburt weggenommen hatte. » Und wir werden lernen müssen, sie neu zu lieben. «
» Du hast auch vor, hierher zurückzukommen, wenn… wenn alles vorbei ist? « , fragte er verblüfft und sah sie dabei mit leuchtenden Augen an. Die Frage, wie sie je von der Küste zurück in dieses Tal der Sierra Nevada kommen sollten, verdrängte er dabei.
» Haben wir denn eine andere Wahl? Selbst wenn wir für Hyperion nicht Todfeinde und vogelfrei wären, würden wir nie im Leben die nötigen Papiere erhalten, die man braucht, um in eine Hiseci überhaupt eingelassen zu werden, geschweige denn dort leben und irgendwie unseren Lebensunterhalt verdienen zu können. Und in einer dieser Trümmerstädte der Dunkelwelt in Dreck, Gewalt und Elend zu hausen, ist nicht das, was ich mir unter einem Leben in Freiheit vorstelle. «
» Ich auch nicht « , stimmte er ihr zu. » Hier dagegen wartet ein fruchtbares und schon gut entwickeltes Tal mit einer verschworenen Gemeinschaft. Und wenn einem das als neuer Anfang nicht genug ist, könnte man sich hier gut ausrüsten und auf der anderen Seite der Berge nach einem Ort suchen, an dem es sich zu leben lohnt. « In seiner Stimme schwang eine Frage mit, die er nicht auszusprechen wagte. Sie lag auch in seinem Blick, der sehnsüchtig auf ihr ruhte.
» Ja, das könnte man « , antwortete Kendira leise. » Aber genug davon, Dante. Ich möchte mich nicht in Träumen verlieren, wo wir doch erst einmal ganz anderes zu bewältigen haben. Wir sollten wieder zu den anderen zurückkehren und uns um unsere Ausrüstung und all das kümmern, was bis zum Eintreffen des Lichtschiffs noch zu erledigen ist. Außerdem wird es gleich dunkel. «
Er seufzte. » Du hast ja recht. « Er griff mit einer Hand nach der Schaufel neben sich im Gras, sprang auf die Füße und streckte ihr seine andere Hand entgegen. » Komm, ich helf dir hoch. «
Sie brauchte keine Hilfe, um aus dem Gras aufzustehen, was er auch sehr wohl wusste. Aber dennoch ergriff sie seine Hand und ließ sich von ihm aufhelfen. Der Weg hinunter war breit und ohne Stellen, wo man aufpassen musste, wohin man seinen Fuß setzte. Doch ihre Hände lösten sich erst voneinander, als sie den Hügel hinabgestiegen waren und im letzten, verlöschenden Licht des Tages durch das Tor gingen. Für wenige Augenblicke erfüllte sie eine wunderbare Wärme und ein tiefer Frieden.
Carson stand auf dem Dach des Schwarzen Würfels und sah zu ihnen herunter. Er lächelte ihnen zu, wenn auch recht verkniffen. Und als Nekia auf sie zukam und Kendiras Aufmerksamkeit auf sich lenkte, da verschwand das erzwungene Lächeln von seinem Gesicht, und ein flammender Blick traf Dante, bevor Carson sich abrupt abwandte.
30
Reglos stand Dante vor dem wandlangen Spiegel, der sich im Vorraum der Toilette über die drei Waschbecken erstreckte. Er konnte seinen Blick einfach nicht von seinem Abbild nehmen. Das tiefe Brummen, das aus der Ferne kam und schnell zu dem rhythmisch
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