Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
schließen können, darum hatten Mr Clark und die Schüler das Um-die-Ecke-Abkommen getroffen, schon vor vielen Jahren.
»Dieser Kram liegt den ganzen Tag unter diesen Wärmelampen und modert vor sich hin.« Ronan begann zu essen. »Das hier sind also praktisch Bakterien pur. Wir schmecken es nur nicht wegen der vielen Geschmacksverstärker…«
»Quatsch, das Zeug ist doch voller Konservierungsmittel«, erwiderte Ernesto und wickelte zufrieden kurze, mittellange und lange Nudeln in Sojasauce um seine Plastikgabel. »Das kann gar nicht schlecht werden.«
»Okay. Dann gehen wir eben an einer Überdosis Konservierungsmitteln ein. Die sollen ja bekanntlich sogar noch giftiger als Bakterien sein. Ist mir auch recht.«
»He, Ronan – Klappe!«, stöhnte Jaden, ließ für einen Moment seinen gelben Plastikteller sinken und verzog das Gesicht. »Da kann einem echt der Appetit vergehen.«
Dara, der sich in dem klapprigen Bistrostuhl gefährlich weit zurückgebeugt hatte, lachte. »Also, ich sage nur: Hauptsache kein Schwein. No pork for my fork! Alles andere ist mir schnuppe, echt!« Er kratzte seinen Teller aus, während Mose Meyerowitz zu seiner Rechten beifällig zu den Worten seines Freundes nickte.
»Euch beide Hübschen sollte man mal in den Nachrichten zeigen.« Ronan schüttelte grinsend den Kopf und deutete mit seiner Gabel auf Dara und Mose. »Eine Reportage über euch zwei und der Israel-Palästina-Konflikt wäre Vergangenheit!« Er hob theatralisch beide Arme und gab eine imaginäre Bühne frei. »Tadam! Hier sehen Sie Darayavahush Ali Ben-Achour, einen waschechten, gläubigen Moslem! Und dort, meine Herrschaften, Mose Elias Meyerowitz, einen braven Juden, der jede Woche koscheren Sabbat feiert! Und was sind diese beiden Knalltüten? Unzertrennlich! Na also! – Dann ein Tusch! Knall! Peng! Religionskonflikte begraben!«
Ernesto musste lachen und beförderte seine Nudelreste in den Mülleimer, beziehungsweise in Dalís offenes Maul, denn Salvadors Hund ging in Erwartung leckerer Essensreste von einem zum anderen.
Ronan Horace. Salva Coleman. Jaden Franklin, Dara Ben-Achour und Mose Meyerowitz. Und er, Ernesto Merrill. Sie alle waren beste Freunde, schon schrecklich lange. Dara war der Einzige von ihnen, der erst später dazugekommen war, vor drei Jahren aus Silver Spring in Maryland. Mit den anderen war Ernesto schon in die Grundschule gegangen.
»Ureinwohner, eben«, pflegte Mose manchmal zu sagen. »Sozusagen die Säulen dieser kleinen, öden Stadt. Mann, warum hat es uns nicht nach LA oder New York verschlagen? Warum musste es ausgerechnet Gähn-Old Town in Gähn-Oregon sein?«
Ernesto kraulte Dalí, der sich jetzt, da vorerst kein weiteres Futter in Sicht war, in den Schatten unter den klapprigen Tisch gelegt hatte, wo ihm nach und nach die Augen zufielen und er in so etwas wie eine tiefe Meditation sank.
Ernesto verspürte keine Lust, nach Hause zu gehen, in die Villa seiner Eltern am West End Hill. Wer würde da sein, wenn er ankäme? Seine Mutter? Fehlanzeige. Sein Dad? Zweite Fehlanzeige. Geschwister? Hatte er keine. Es würde ein Tag werden wie jeder andere auch. Außer ihm und Haushälterin Natasha kein Aas da. Höchstens Chazza Blume, wenn er sich erbarmte und vorbeischaute. Wobei vorbeischauen war nicht das, was Chazza tat, wenn er kam.
Ronan Horace wohnte ebenfalls am West End Hill, wie er. Er war nun mal auch ein reicher Pinkel, wie Salvador sie ab und zu spaßhalber nannte.
»So, genug abgehangen, Brüder im Geiste«, unterbrach Ronan die nachmittägliche Trägheit. »Was machen wir heute noch? Nix mehr? Oder geht noch was? Eine kleine Revolution, ein feines, geheimes Besäufnis? He, Männer! Ich warte auf Vorschläge!«
Zum Schluss lief es, wie fast immer, auf das Oreo-Brownie-Orakel, kurz und liebevoll OBO genannt, hinaus.
»Los, Zettel raus, Vorschläge drauf«, kommandierte Ronan ungeduldig und kritzelte Shisha rauchen! Kopf zudröhnen! Yay! auf seinen Papierfetzen, den er aus seinem Matheheft gerissen hatte.
Alle schrieben dies und das, Ernesto achtete nicht weiter darauf und schrieb selbst Hier sitzen bleiben, Konservierungsstoffe verdauen und nix tun! ausgerechnet auf die Rückseite einer Visitenkarte seines Dads, die er rätselhafterweise in den Tiefen seines Rucksacks entdeckt hatte.
Doktor Stanley J. Merrill stand darauf, die einzelnen Buchstaben sehr filigran und doch tatsächlich goldfarben. Private Schönheitsklinik .
Ernesto runzelte genervt die Stirn. Oft beneidete
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