Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
er«, stöhnte Jaden. »Salva, im Ernst: Warum bist du so ein Hundenarr? Diese Viecher tun nichts als fressen, kacken, stinken und Haare verlieren. Was ist der Hipe an ihnen?«
»Klappe«, antwortete Salvador streng. »Ich liebe Dalí. Hör auf, immerzu auf ihm rumzuhacken. So was macht man nicht. Vergiss nicht, dass er außerdem behindert ist.«
»Ich denke, wir schlagen uns hier ins Unterholz«, rief Ronan, der schon ein Stück vorausgelaufen war.
»…und nehmen uns vor Bären, Kojoten und anderen Raubtieren in Acht«, grinste Darayavahush.
Eine Weile liefen sie schweigend durch den immer dichter werdenden Wald.
»Und hier fährst du Rad?«, stöhnte Ernesto irgendwann. »Hier ist doch kaum ein Durchkommen.«
»Ich komme überall durch«, war Ronans sportliche Antwort.
»Ronan Horace, der neue Ironman«, spottete Mose.
»Wär nicht das Schlechteste.« Ronan verschwand hinter einem riesigen Baum. »Pinkelpause.«
»Bäume, Bäume, Bäume…«, stöhnte Darayavahush eine halbe Stunde später.
»Ja, wir wissen Bescheid«, unterbrach ihn Mose und schlug ihm auf die Schulter. »Deine Vorfahren in Teheran hatten es so viel besser…«
Dara nickte. »Ich sag’s ja, ich sag’s ja«, rief er und schlug ein paar Äste aus dem Weg, der keiner war. »Jedenfalls blockiert gleich mein Gehirn und ich falle in ein Lethargiekoma! Mann, Leute, ich brauche Action! Drama! Alkohol! Dieses Im-Wald-Herumlatschen ist nichts für mich. He, Ronan, wo ist denn jetzt deine Nackte?«
»Es muss ein Stück weiter in dieser Richtung sein«, grübelte Ronan.
»Das sagst du jetzt schon zum eine Millionsten Mal«, regte sich Jaden auf. »Und in der Zwischenzeit saugen uns die Moskitos komplett aus. – Da! Schon wieder eine!« Er schlug sich fluchend aufs Bein.
»Wir gehen übrigens nach Nordwesten«, murmelte Ernesto mit einem Blick auf seinen Smartphone-Kompass. Zusätzlich kennzeichnete er Bäume für ihren Rückweg.
»Und das hilft uns so was von weiter!«, knurrte Jaden und kratzte sich seinen aktuellsten Stich.
»Also, noch mal: Wir suchen nach einer einsturzgefährdeten Bruchbude, einem Waldsee und so einem krummen Baum, der ungefähr mittig zwischen Hütte und See positioniert ist?«, fasste Salvador zusammen.
Ronan nickte, blieb stehen und sah sich nachdenklich um.
»Ich glaube, wir sollten allmählich zurückgehen«, schlug Jaden vor. »Hat doch alles keinen Sinn. – Was meint ihr?«
Die Jungen sahen sich an.
»Also, keine Nackte«, seufzte Darayavahush ergeben und betrachtete Dalí, der schnüffelnd um ein paar Bäume herumlief. »Na, wenigstens hatte der Behinderte unter uns seinen Spaß.«
»Okay, Minipause mit Megajoint. Und dann Rückzug. Alle einverstanden?«, sagte Mose und setzte sich auf den Waldboden.
Die anderen nickten und machten es ihm nach. Reden, rauchen, herumfläzen, die Seele baumeln lassen.
»Natürlich kein Netz in dieser Einöde«, murmelte Jaden nach einem prüfenden Blick auf sein stummes Mobiltelefon.
»Was hast du gedacht? Dass hier alle paar Meilen eine Sendeantenne im Wald steht? – Wir sind hier im totalen Nirwana, Bleichgesicht!«, spottete Mose.
Ernesto versuchte, die Stimmen der anderen, so gut es ging, auszublenden, und sah schweigend in den Wald hinein. Er lauschte dem Wind, der in den Bäumen rauschte, und sah zu, wie über ihnen die Wolken dahinzogen. Seine Gedanken wanderten. Sie wanderten zu seiner Mom, die er nicht verstand, und seinem Dad, den er noch viel weniger verstand. Sein Vater lebte praktisch für und in seiner Klinik, in der er reichen Leuten Busen, Bäuche, Nasen und dergleichen verschönerte, wenn man so wollte. Ein schwachsinniger Job, wenn man Ernesto fragte. Nur fragte ihn keiner. Und seine Mutter? Sie war wie Ebbe und Flut, kam und ging, lachte und weinte. Auf und ab, auf und ab, auf und ab. Ernesto hatte es längst aufgegeben, sich in ihre verkorkste Gefühlswelt hineinzuversetzen. Sie kam ihm vor wie ein Hochgeschwindigkeitszug, der pausenlos auf dem falschen Gleis war. Er dachte an Chazza Blume, der sich lange nicht mehr hatte sehen lassen. Lieber, verrückter, blinder Chazza. Er erinnerte sich mit einem unwohlen Gefühl im Bauch an das, was er letzte Woche seinen Kumpels anvertraut hatte: die Sache zwischen Chazza und seiner Mom. Mist, er hätte das nicht erzählen sollen. Aber es war so aus ihm herausgerutscht. Es beschäftigte ihn einfach schon zu lange. Wie lange eigentlich? Wann hatte er zum ersten Mal mitbekommen, dass da etwas war zwischen seiner
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