Liberty: Roman
Feldweg, an dem weiß gestrichene Häuser hinter hohen Hecken und Toren liegen.
Marcus
MARABUSTORCH
»Hej, du da?«, ruft bwana Jonas von der Veranda.
»Ja, bwana ?«, rufe ich von der Hintertreppe an der Küche zurück, wo ich darauf warte, dass Katriina vom Flughafen zurückkommt.
»Bring ein paar Bier!«, befiehlt bwana Jonas.
»Sofort«, antworte ich und springe zum Kühlschrank. Die Tochter Solja kommt in die Küche.
»Ich habe Hunger«, sagt sie – in ziemlich gutem Englisch, obwohl diese schwedische Familie erst seit vier Monaten hier ist.
»Ich brate dir gleich ein bisschen Fleisch«, sage ich und laufe mit dem Bier in der Hand auf die Veranda, wo bwana Jonas mit seinem neuen Kollegen Asko und seiner Frau aus Finnland sitzt. Ich stelle die Bierdosen auf den Tisch. Asko ist sehr groß und dick, und die Frau, Tita, zwitschert wie ein kleines Vögelchen: »Vielen Dank.«
»Soll ich Solja etwas zu essen machen?«, frage ich.
»Wenn sie Hunger hat«, murmelt bwana Jonas mit dieser schwedischen Tabakerde im Mund und zuckt die Achseln, ohne mich anzusehen. Ich laufe zurück in die Küche und lege Hühnchen auf den Grill, der im Freien steht. Die Betreuung des achtjährigen Mädchens ist mein Ticket zu einem guten Leben. Ich bin erst seit zwei Wochen bei dieser Familie, und ich weiß noch nicht recht, was meine Rolle ist. Bin ich jemand, der auf die Kinder aufpasst, oder ist es eher so etwas wie eine Adoption? Das Leben ist eine harte Aufgabe, wenn du deine eigenen Eltern verlassen hast. Ich wende die Hühnchenteile über der glühenden Kohle.
»Magst du Hühnchen?«, fragt mich Solja.
»Ja, tu ich.« Ich liebe Fleisch. Seit meiner Geburt 1965 bin ich im Serengeti Nationalpark eine Art Marabustorch auf der Jagd nach Fleisch gewesen. Mein Vater arbeitete dort, obwohl wir dem Volk der Chagga an den Hängen des Kilimandscharo entstammen – aber wir besitzen kein Land. In meiner Kindheit bin ich fast wie ein wildes Tier und laufe im Staub herum, während die Touristen in kleinen Flugzeugen ankommen, um einen Tag in der Serengeti herumgefahren zu werden. Das Hotel in Nairobi hat ihnen Sandwichpakete mitgegeben – eine große weiße Schachtel aus Karton. Sie werden sich hinsetzen und essen, und wir Schwarzen werden sie dabei beobachten. Wir leben von Maisgrütze und Spinat – und diese Schachteln enthalten weißes Fleisch vom Hühnchen und dunkles Fleisch der Kuh, sie haben herrlich kräftige Brote, einen goldenen Apfel; viel Geschmack. Aber Fleisch ist das Wichtigste – wir hungern nach Fleisch an diesem Fleck der Welt, an dem das Fleisch unbesorgt auf vier Beinen herumläuft. Denn wir dürfen das Fleisch nicht töten, weil die Touristen die Tiere lebend sehen wollen. Wir verfolgen, wann diese wazungu mit dem Essen fertig sind, und sobald sie vom Tisch aufstehen, stürzen wir uns auf die Schachteln. Wenn eine Schachtel sehr schlecht ist und wenig drin ist, müssen wir sie teilen oder uns prügeln. Und die Touristen lachen über uns und feuern uns an. Manchmal werfen sie die Hühnchen auf den Boden, so dass sie staubig werden. Wir sollen dann um die Reste kämpfen. Wir können das Hühnchen abspülen, es aber auch staubig essen. Dann wiederum werfen die Touristen das gute Essen in einen Abfalleimer, zu dem die Marabustörche auf Flügeln kommen, um zu fressen. Wir bewerfen die Vögel mit Steinen. Wir kämpfen ums Essen. Die Weißen machen Bilder von uns, als wären wir seltsame Affen. Wir sind nicht seltsam. Wir sind hungrig.
Der Geruch von gebratenem Hühnchen steigt mir in die Nase. Ich laufe zu der schwedischen Saunahütte neben dem Haus und kontrolliere, ob das Feuer im Ofen gut brennt, damit die Weißen in diesem heißen Land extra schwitzen können. Dann bereite ich Solja den Teller mit Hühnchen, Brot, Butter und Salat, den sie nie isst.
»Und Cola«, sagt sie. Ich nehme eine Cola-Flasche aus dem Kühlschrank und öffne sie für sie. Sie geht mit ihrem Essen auf die Veranda, um den Erwachsenen zuzuhören. Aber was soll ich jetzt machen? Soll ich anfangen, den Rest des Essens zu grillen, damit alles vorbereitet ist, wenn Katriina mit bwana Knudsen und seinem Sohn vom Flughafen kommt?
DER DÄNISCHE JUNGE
» Danke fürs Essen, Marcus«, sagt Solja. Als braves Mädchen kommt sie mit ihrem Teller in die Küche. Ich nage das letzte Fleisch von den Hühnchenresten – herrlich fett. Bis vor zwei Wochen habe ich bei Moshis lutheranischem Pastor gewohnt, der mich zur Arbeit auf seinem Feld zwang. Ich habe
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