Liberty: Roman
wenn der deutsche Mann sein Fernglas benutzt. Aber nach einem Jahr sind die Forschungen beendet, und sie wollen zurück in das weiße Land. Ich bin schockiert. Was nun? Ich dachte, sie würden mich nach Europa mitnehmen. Aber der Mann schickt mich in einem Auto nach Seronera wie einen Touristen; ich habe Geld bekommen, ich trage Turnschuhe, Jeans und eine Jeansjacke, in meiner Proviantbox liegt weißes Fleisch.
In Seronera sind meine Eltern fort; die Arbeit ist vorbei, sie sind zurück nach Moshi gefahren. Sie konnten mich nicht mitnehmen, wo hätten sie mich finden sollen? Ich bin vierzehn Jahre alt. Ich nehme den Bus nach Moshi, viele hundert Kilometer allein auf der Welt. Ich finde das Haus, das meine Eltern in Soweto gemietet haben. Die Mauern bestehen aus Rohr und Lehm, der Boden ist Erde, und das Dach besteht aus großen Blechdosen für Speiseöl, die aufgeschnitten und gerade gehämmert wurden – durchlöchert vom Rost. Meine kleinen Geschwister laufen dreckig und halb nackt herum; sie sind in einem Jahr gewachsen wie Unkraut. Im Haus ist es dunkel und riecht schmutzig. Meine Mutter sieht fast wie eine Fremde aus.
»Die Deutschen sind nach Europa gefahren«, sage ich.
»Du kannst nicht hierbleiben«, sagt sie. »Du musst gehen, bevor dein Vater kommt. Er schlägt dich tot.«
»Warum? Er ist mein Vater.«
»Du gehorchst nicht, Marcus. Du bist der Älteste, es ist wichtig für die ganze Familie, dass du gut bist. Sonst werden die anderen Kinder auch schlecht.«
»Ich kann mich ordentlich benehmen.«
»Nein«, sagt sie. »Du bist wie die wazungu -Kinder, kein Respekt vor deinen Eltern. Du kannst hier nicht wohnen.«
»Aber wo soll ich hin?«
»Geh zu meiner Schwester in Majengo«, sagt Mutter. »Dort kannst du wohnen, dort gibt es keinen Mann im Haus.«
Seit diesem Tag gehe ich allein durchs Leben und suche mein Glück – am liebsten bei den weißen Menschen.
»W-w-w-w-wie heißt d-d-d-du?«, fragt Mika draußen; er ist aus dem Kino zurück und redet mit bwana Knudsens Jungen.
»Christian«, antwortet der Junge. Ich steige vorsichtig aus Soljas Bett und gehe zu ihnen hinaus.
Christian
»Tr-tr-tr-traust du d-d-d-dich?«, werde ich von einem jungen Burschen gefragt, bei dem es sich um Katriinas Neffen Mika handeln muss. Er reicht mir eine selbst gedrehte Zigarette. Er ist aus der Dunkelheit des Gartens aufgetaucht und riecht nach Bier, obwohl er nur ein paar Jahre älter ist als ich. Ich will kein Schlappschwanz sein. Ich werfe einen raschen Blick ins Wohnzimmer, um zu sehen, ob irgendwelche Erwachsenen da sind. Nein. Ich nehme die Zigarette. Mika hält mir ein Streichholz hin und lächelt. Der Tabak schmeckt eigenartig.
Der schwarze Bursche, Marcus, kommt aus dem Wohnzimmer.
» Tsk , Mika«, sagt er und nimmt mir die Zigarette aus der Hand, schnüffelt daran und reicht sie Mika, wobei er den Kopf schüttelt. »Das ist bhangi «, sagt er zu mir. »Du wirst verrückt davon.« Er gräbt eine Packung Filterzigaretten aus der Hosentasche. Sportsman. Reicht mir die Packung. Ich nehme eine. Ich habe soeben meinen ersten Zug Pot genommen, irre.
»Danke«, sage ich.
»Geh’n wir in mein Ghetto, damit dein Vater dich nicht sieht«, sagt Marcus. Er ist schwer zu verstehen, denn er spricht Englisch mit einem starken afrikanischen Akzent. Ich hatte zweieinhalb Jahre Englisch auf der Schule. Und ich habe mit Mutter geübt und Kassetten aus der Bibliothek nachgesprochen. Außerdem hat sie mir Platten von Bob Dylan, den Rolling Stones und den Beatles vorgespielt und versucht, mir die Wörter beizubringen. Mika ist im Haus verschwunden.
»Okay«, sage ich zu Marcus und begleite ihn zu einem kleinen gemauerten Gebäude, das ganz hinten im Garten steht. »Wohnst du hier?« Mir ist ein wenig schwindlig, und meine Füße schweben über der Erde.
»Ja«, antwortet er. »Es ist die Dienstbotenwohnung, für mich und das Hausmädchen. Das schwarze Ghetto.« Er lächelt mich in der Dunkelheit an, öffnet die Tür und geht hinein. Der Raum ist vollkommen dunkel. Ich warte draußen. Er zündet eine Sturmlaterne an, offenbar gibt es keinen Strom.
»Magst du Musik?«, will er wissen.
»Ja«, antworte ich, »Bob.«
»Du kennst Bob Marley?«, fragt er erstaunt.
»Bob Dylan«, sage ich.
»Den kenn ich nicht. Du musst dir Bob Marley anhören.«
Marcus stellt einen kleinen batteriebetriebenen Kassettenrekorder an. Die Musik hat einen langsam pumpenden Rhythmus, der in den Körper geht. Ich zünde die Zigarette an und
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