Liberty: Roman
dem Weg nach Nairobi. Wir umarmen uns.
»Pass auf dich auf, Christian.«
»Ebenso. Viel Glück.«
»Schreib«, sagt er.
»Werde ich tun.« Ich lasse ihn los und gehe auf den Grenzposten zu, ziehe meinen Pass aus der Tasche. Alle Stempel sind in Ordnung, gekauft und bezahlt in Moshi. Es geht ein Nachtbus nach Nairobi. Ich werde morgen Vormittag im Jomo Kenyatta Flughafen sein und habe gut zweiunddreißig Stunden totzuschlagen, bevor die Maschine abhebt. Ich habe ein paar Steine im Schuh; unter den Socken, zwischen den Zehen, rohes Tansanit. Damit ich sie nicht verliere, sollte meine Tasche gestohlen werden.
Im Bus bekomme ich einen Fensterplatz und sitze eingeklemmt zwischen der Karosserie und den dicken Schenkeln einer älteren mama . Der Bus ist okay, außerdem habe ich so etwas schon mal gemacht – ich weiß also, dass man möglichst nichts trinken sollte, da keine Pinkelpausen gemacht werden. Ich nicke ein wenig ein, kann aber nicht wirklich schlafen. Rauche Zigaretten, während die mama leise neben mir schnarcht. Die Tasche steht zwischen meinen Füßen. Ich habe einen nicht entwickelten Film, auf dem Rachel lächelt und Schenkel zeigt. Und die kleine Halima Fußball spielt, auf dem Motorrad sitzt, und über das ganze Gesicht Maisgrütze verschmiert hat. Ich schaue in die Morgendämmerung, während die Reifen auf dem Asphalt singen. Die Landschaft ist verschleiert, ich habe Tränen in den Augen.
» Pole «, sagt die Mama neben mir.
» Asante «, erwidere ich.
Marcus
STAUBGEBOREN
Ich trinke meinen Morgenkaffee auf der Veranda und schaue auf das staubige Wohnquartier, mein Kiosk steht schief. Mir geht durch den Kopf, dass ich eines Tages von meinen eigenen Kindern gefragt werde: »Wieso bist du besoffen?« Ich habe immer geglaubt, sie würden Angst vor mir haben, so dass ich mich diesem miesen Gefühl total entziehen kann. Und nicht damit belästigt werde. Aber es kommt der Zeitpunkt, wo sie mich fragen werden. Es ist hart: Das Schreckenssystem wiederholt sich. Und ich bin so gut wie am Ende, ohne Benzin, ich fahre nur noch mit Dampf und folge meiner Spur durchs Leben: abwärts, denn was kann ich tun? Claire kann ich nicht im Stich lassen. Sie kommt nicht allein mit Redemption zurecht. Er soll auch mein werden. Er ist mein. Aber wird es eine Wiederauferstehung? Wird er wie ich? Eine Pflanze, die welkt, während sie wächst? Wenn er groß ist und dieses Heim verlässt, ist es Zeit für mich zu sterben – dann habe ich meine katastrophale Aufgabe auf der Erde erfüllt und kann wieder zu Staub werden.
»Komm und nimm Redemption«, ruft Claire aus dem Haus. Sie muss ihr Haar richten und sich schminken, bevor sie zur Arbeit in die Princess-Boutique geht. Und das Hausmädchen steht während meiner Kaffeepause im Kiosk. »Jetzt komm schon und nimm ihn«, ruft sie noch einmal.
»Maku, Maku«, juchzt er. Vielleicht sollte ich den zarten Sound der guten Maschine in meinem Haus anstellen. Ich suche einen Mann, der sie mir abkauft – ich bin fertig mit den Discoträumen. Aber Redemption soll tanzen. Ich lege eine LP auf. Redemption lächelt mich an, ich nehme ihn auf den Arm und gehe hinaus. Stelle ihn auf die Veranda, nehme meinen Kaffee und setze mich auf den Stuhl. Redemption hüpft auf seinen pummeligen Beinen, während Bob den Song singt: » Emancipate yourselves from mental slavery. None but ourselves can free our minds .«
Claire kommt heraus. »Du sollst das Kind nicht mit dieser Musik verrückt machen«, sagt sie. »Diese Musik führt nur zu Katastrophen.« Ich hebe die Hand und streichele Claires Rücken. Sie lächelt dem tanzenden Redemption zu. Es ist der Song für das Kind. Redemption wird Katastrophen verursachen. Ich hoffe, sie werden gut für ihn ausgehen.
Christian
Ich esse ein paar Chapati an der Busstation in Nairobi, trinke Tee dazu. Kaufe Bananen, geröstete Erdnüsse und eine Flasche Wasser. Esse ein hart gekochtes Ei. Nehme ein matatu zum Flughafen.
Ich gehe auf die Toilette. Öffne meine Tasche und nehme eine kleine Pappschachtel mit Muschelschalen und Korallen heraus, die ich mit Halima am Strand vor Tanga gesammelt habe. Wir haben die Schachtel meinem Vater geschenkt, ich habe sie aus dem Regal in Shinyanga mitgenommen. Die kleine Halima. Rachel. Ich muss schlucken. Rasch lege ich die Tansanit-Steine dazu, stecke die Schachtel wieder in die Tasche und ziehe den Reißverschluss zu.
Gehe umher und rauche. Bin hungrig, habe aber kaum noch Kenia-Schillinge und will meine Dollar nicht
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