Liberty: Roman
Yes, enter «, ruft er. Ich öffne die Tür.
»Hej, Vater«, sage ich.
Fast vierundzwanzig Stunden geschlafen, und die Welt sieht so aus, als wäre die Schwerkraft aufgehoben. Katriina sagt nichts. Ich lese Rebekka vor, die eine Missionsschule etwas außerhalb der Stadt besucht. Sie wird von Nonnen und Mönchen unterrichtet. Am kommenden Nachmittag holt Vater mich im Haus ab. Wir fahren aus der Stadt. Vielleicht will er mit mir reden. Aber er sagt nichts.
»Und wie läuft’s mit der Arbeit?«, frage ich ihn. Vater seufzt. Die Baumwollunion ist der wichtigste Arbeitgeber der Umgebung. Er muss deren neues Abrechnungssystem programmieren und ihnen beibringen, einen Computer zu benutzen. Aber es gibt nicht viel Unterstützung.
Wir fahren durch endlose Baumwollfelder. Vater zeigt auf drei große Lagerhäuser aus Holz, die zwischen den Feldern stehen. Zwei sind fast bis auf die Grundmauern niedergebrannt. »Die Abrechnungen belegen, dass diese beiden Lagerhäuser voller Baumwolle waren, aber man hatte alles schwarz an private Aufkäufer verkauft. Alle wussten es, aber damit die Buchhaltung stimmt, meinten die Chefs offenbar, die Gebäude niederbrennen zu müssen.«
»Damit die Baumwolle verschwunden ist?«
»Ja, angeblich aufgegangen in Flammen. Im nächsten Jahr wird es umso schwieriger; ein leeres Lager unter freiem Himmel ist nicht dasselbe wie ein Gebäude.«
Ich sage nichts.
»Die ganze Scheiße wird ohnehin pleite gehen«, fährt Vater fort. »Die kleinen Bauern verlieren ihr Geld, während die Chefs sich neue Häuser bauen.«
»Verrückt.«
»Ja, total. Ich bin jetzt zehn Jahre hier, und alles, was ich anfasse, zerfällt zu Staub.« Ich teile diese Erfahrung. Allerdings wird Vater gut dafür bezahlt, mit seiner Arbeit Staub zu produzieren. Der Ablass der westlichen Welt, aber wofür? Niemand will für den Staub bezahlen, den ich verursacht habe.
»Wieso bleibst du noch hier?«
»Ich weiß nicht«, erwidert er und lacht kurz auf. »Hier ist es schön. Und es gibt durchaus auch Einzelne, die etwas von mir lernen und so schnell wie möglich in die Privatwirtschaft wechseln, damit sie Geld verdienen.«
Vater ist etwas dicker geworden. Er wirkt entspannt. Diese lästige Frau ist weit weg – meine Mutter. Jetzt fällt der Regen auf Katriina, die einfache Frau, die dankbar ist und richtige Kinder hat – besser als seine eigenen, von denen eins tot und das andere ein noch hoffnungsloserer Fall ist.
Wir essen. Die Unterhaltung vermeidet peinlich genau sämtliche Minenfelder. Alle wissen etwas übereinander, und Schweigen ist die sicherste Strategie. Ich helfe Rebekka bei den Hausaufgaben. Katriina backt in der Küche Brot. Vater programmiert ein löchriges Buchhaltungsprogramm.
Vater geht früh zu Bett. Er muss morgen zu einer Sitzung in Mwanza und will sich nach einem Transport für mich umhören. Einem Transport nach Dänemark in irgendeiner Form. Ich sitze im Wohnzimmer und lese. Katriina kommt aus der Küche. Reicht mir einen großen Gin Tonic. Setzt sich.
»Was willst du jetzt machen?«, erkundigt sie sich. »Also in Dänemark?« Ich grinse.
»Leben und sterben.«
»Wo?«
»In meinem Fleisch. Wo sonst?«
»Ja, ja«, sagt sie. »Aber wovon willst du leben? Willst du zur Schule gehen?«
»Keine Ahnung«, antworte ich und sehe sie an. Und stelle die Frage: »Ich würde gern wissen, wie Jonas gestorben ist.«
Katriina sagt, sie hätte versucht, ihn zu wecken, sie hätte versucht, ihn auf die Beine zu stellen und ins Bett zu bringen, aber er wäre über den Saunaofen gestolpert und hätte sich den Kopf aufgeschlagen.
»Wieso wolltest du ihn ins Haus bringen?«
»Solja und Rebekka sollten ihn nicht da draußen finden, wenn sie wach würden.«
»Und das soll ich glauben?«
»Das ist die Wahrheit«, behauptet Katriina.
»Ich denke, du hast ihm eins übergezogen.«
»Nein«, widerspricht Katriina.
»Was sonst?«
»Ich habe ihn auf die Beine gestellt, und dann hat er versucht … mich zu nehmen. Ich habe ihn weggeschubst, er stolperte, fiel über den Ofen und verletzte sich am Hinterkopf.«
»Warum hast du keinen Arzt gerufen?«
»Wieso?«
»Er war schließlich dein Mann.«
»Nicht sehr lange«, sagt Katriina.
»Du hast zusätzliches Holz in den Ofen gelegt. Das hat Marcus mir erzählt.«
»Um ihn zu dehydrieren, damit er richtig krank wird.«
»Und dann ist er gestorben?«
»Er ist dehydriert.«
»Nein«, sage ich. »Das war nicht alles. Er ist mit dem Kopf aufgeschlagen.«
»Vielleicht
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