Licht
sich mit dem Mut der Verzweiflung, schlug mit der Tasche nach ihm und verfolgte mit Entsetzen, was mit Brian Tate geschah.
»Nein«, sagte sie ernüchtert. »Nein, sieh nur. Wir müssen ihm helfen.«
»Christus, Anna! Los, komm!«
Er sah, dass auch die weiße Katze weinte. Sie hatte ihm den dünnen, wilden, kleinen Kopf zugewandt und ihre Tränen strömten wie Lichtpunkte in den Raum. Sie strömten und strömten, bis die Katze sich aufzulösen begann und wie eine zähe glitzernde Flüssigkeit von Tates Schulter auf den Boden troff. Tate schaukelte hin und her und machte: »Äh äh äh.«
Auch er begann zu schmelzen.
Eine Stunde später saßen sie in einer Pick-up-Bar Ecke Cambridge Circus und Old Compton Street, dem muntersten Lokal, das sie noch offen vorgefunden hatten im Zentrum von London. Es war nicht gerade das, was sie gesucht hatten, doch es war so weit wie eben möglich entfernt von den kalten, endlosen Vororten und den Straßen mit den achtbaren, klotzigen Börsenmaklerheimen mit einem einzigen erleuchten Raum zwischen Lorbeer und Rhododendron. In der Bar konnte man einen Imbiss zu sich nehmen – hauptsächlich Tapas –, und Kearney hatte versucht Anna zu bewegen, etwas zu essen, doch sie hatte nur auf die Karte geschaut und geschaudert. Sie schwiegen beide, starrten nur hinaus in die Straße, genossen die Wärme und die Musik und das Gefühl in der Nähe von anderen zu sein. Soho war noch hellwach. Paare, meist schwule, eilten Arm in Arm am Fenster vorüber, lachend und sich angeregt unterhaltend. Es brachte einem ein wenig menschliche Wärme, wenn man sein Glas mit beiden Händen hielt und die Passanten beobachtete.
Schließlich trank Anna aus und sagte: »Ich will gar nicht wissen, was da vorhin passiert ist.«
Kearney zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht mal, ob sich das überhaupt so zugetragen hat«, log er. »Ich glaube da eher an eine Sinnestäuschung.«
»Was machen wir jetzt?«
Auf diese Frage hatte Kearney gewartet. Er zückte die externe Festplatte, die Tate ihm gegeben hatte, wog sie in der Hand und legte sie zwischen sich und Anna auf den Tisch, ein seidig schimmernder, intelligent konstruierter Gegenstand, nicht viel größer als eine Zigarettenschachtel. Titanium sah irgendwie besonders aus, dachte er. Ein zurzeit beliebtes Metall.
Er sagte: »Nimm das an dich. Wenn ich nicht zurückkomme, übergibst du es Sony. Sag ihnen, es ist von Tate, die wissen dann schon Bescheid.«
»Aber das Zeug«, sagte sie. »Das ist doch da drin.«
»Ich glaube nicht, dass es mit den Daten zu tun hat«, sagte Kearney. »Tate irrt sich da. Ich glaube, dieses Ding hat es auf mich abgesehen, und ich glaube, es ist dasselbe Ding, das es schon immer auf mich abgesehen hat. Es hat lediglich einen neuen Weg gefunden, mit mir zu kommunizieren.«
Sie schüttelte den Kopf und schob die Platte von sich.
»Ich lasse dich nicht gehen«, sagte sie. »Wo kannst du hin? Was kannst du tun?«
Kearney küsste sie und lächelte sie an.
»Es gibt ein paar Dinge, die ich noch probieren kann«, sagte er. »Ich habe sie bis zuletzt aufgehoben.«
»Aber…«
Er schob den Stuhl zurück und erhob sich.
»Anna, ich komme da schon raus. Willst du mir helfen?« Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er hielt ihr die Finger an die Lippen. »Geh einfach nach Hause, pass auf das Ding auf und warte auf mich. Bitte. Ich bin morgen früh zurück, versprochen.«
Sie blickte zu ihm auf, die Augen scharf und klar, dann beiseite. Berührte die Festplatte, dann steckte sie sie rasch in ihre Jacke. Sie schüttelte den Kopf, als habe sie nichts unversucht gelassen und überantworte ihn nun der Welt. »Gut«, sagte sie. »Wenn es das ist, was du willst.«
Kearney fiel ein Stein vom Herzen.
Er verließ die Bar und nahm ein Taxi nach Heathrow, wo er einen Platz im ersten verfügbaren Flug nach New York buchte.
Zu so später Stunde war der Flughafen wie betäubt. Kearney saß in einer leeren Sitzreihe, gähnte, verfolgte durch das Spiegelglas der Abflughalle die riesigen Flossen der manövrierenden Flugzeuge und würfelte beim Warten auf das Morgengrauen zwanghaft mit den Würfeln des Shranders. Seine Tasche stand auf dem Nebensitz. Er flog nicht nach Amerika, weil er das wollte, sondern weil die Würfel ihm dazu geraten hatten. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er da sollte. Er sah sich schon durch die Staaten geistern und bei Nacht versuchen, eine AAA-Karte zu lesen; oder wie jemand in einer Richard-Ford-Story
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