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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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ans Ohr. Es meldete sich ein altmodischer Anrufbeantworter, und Kearney sagte: »Brian, wenn du da bist, heb ab. Ich bin draußen vor dem Haus und muss mit dir reden.« Das Band lief eine halbe Minute, dann hielt es an. »Um Gottes willen, Brian, ich kann dich da drinnen sehen.« Kearney wählte die Nummer noch einmal, als Tate die Tür aufmachte und unsicher nach draußen spähte. »Das ist zwecklos«, sagte Tate. »Das Telefon steht ganz woanders.« Er trug irgend so einen silbrigen schwer isolierten Parka, Cargohosen und ein T-Shirt. Ein Schwall Wärme kam aus der Tür. Die Kapuze des Parka verdunkelte Tates Gesicht, doch Kearney konnte erkennen, dass es eingefallen und unrasiert war, es wirkte müde. Er blickte von Kearney zu Anna und von Anna zu Kearney.
    »Wollt ihr reinkommen?«, sagte er mit einer vagen Geste.
    »Brian…«, setzte Kearney an.
    »Geh nicht rein«, sagte Anna plötzlich. Sie stand noch immer im Blumenbeet unter dem Fenster.
    »Du brauchst ja nicht mitzukommen«, sagte Kearney.
    Sie funkelte ihn an. »O doch, das tue ich.«
    Im Haus war es stickig vor Wärme und Feuchtigkeit. Tate führte sie in ein kleines Hinterzimmer.
    »Könntet ihr die Tür hinter euch schließen?«, sagte er. »Sonst bleibt die Wärme nicht drin.«
    Kearney sah sich um.
    »Brian, was, zum Teufel, machst du hier?«
    Tate hatte leichten Kupfermaschendraht an Wände und Decke genagelt und so das Zimmer in einen Faraday’schen Käfig verwandelt. Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme hatte er das Fenster mit Alufolie abgedeckt. Nichts Elektromagnetisches konnte von außen nach innen oder von innen nach außen gelangen. Niemand konnte herausfinden, woran er hier drinnen arbeitete, wenn er denn an etwas arbeitete. Überall Schachteln mit Nägeln, Maschendrahtrollen und Bacofoil-Kartons. Die Zentralheizung war voll aufgedreht. In der Mitte des Zimmers in der Nähe eines resopalbeschichteten Küchentischs nebst Stuhl brausten zwei Propangasöfen vor sich hin. Auf dem Tisch standen sechs parallel geschaltete G4-Server, eine Tastatur, ein Monitor mit Staubschutzhaube und ein paar Peripheriegeräte. Außerdem gab es noch einen Elektrokocher, Instantkaffee und Plastikbecher und überall am Boden verstreut die obligatorischen Fastfoodkartonagen. Das Zimmer war unsäglich kahl und manisch. Es stank.
    »Beth ist gegangen«, erklärte Tate. Er fröstelte und hielt die Hände über einen der Gasöfen. Sein Gesicht war kaum zu erkennen in der Kapuze. »Sie ist zu Davis zurück. Sie hat die Kinder mitgenommen.«
    »Tut mir Leid, das zu hören«, sagte Kearney.
    »Es tut dir Leid«, sagte Tate. »Ja, davon bin ich überzeugt.« Er hob plötzlich die Stimme. »Also«, sagte er, »was willst du? Das Telefon steht woanders, musst du wissen. Ich habe hier zu tun.«
    Inzwischen sah sich Anna Kearney mit großen Augen um, als könne sie das alles nicht glauben. Ab und zu wanderte ihr Blick mit der stillen Verachtung des einen Neurotikers für den anderen zu Tate, und sie schüttelte den Kopf. »Was ist das denn?«, sagte sie plötzlich. Die weiße Katze war vorsichtig unter dem Tisch hervorgekommen. Sie sah zu Michael Kearney auf und machte einen kleinen Satz beiseite. Dann streckte sie sich in einer Art behutsamer Selbstachtung und ging, den Schwanz in der Luft, schnurrend auf und ab. Sie schien die Hitze zu genießen. Anna kniete sich nieder und streckte die Hand aus. »Hallo, Baby«, sagte sie. »Hallo, kleines Baby.« Die Katze sah gar nicht hin, sprang federleicht auf die Hardware und von dort auf Tates Schulter. Sie sah dünner aus als je zuvor, der Kopf erinnerte mehr denn je an die Klinge einer Axt, Ohren durchscheinend, das Fell eine Korona aus Licht.
    »Ich hause nur in diesem Zimmer«, sagte Tate.
    »Was ist passiert, Brian?«, sagte Kearney lammfromm. »Hast du nicht gesagt, es wär eine Störung gewesen?«
    Tate drehte die hängenden Hände nach außen.
    »Ich habe mich geirrt.«
    Er suchte in dem Durcheinander aus USB-Kabeln, gestapelten Peripheriegeräten und schmutzigen Plastikbechern, das sich auf dem Tisch breitmachte, und winkte schließlich mit einer externen 100Gb-Platte in einem glänzenden Titaniumgehäuse. Er reichte sie Kearney, der sie vorsichtig in der Hand wog.
    »Was ist das?«
    »Die Resultate des letzten Durchlaufs. Er war eine volle Minute lang dekohärenzfrei. Es gab Qubits, die sage und schreibe eine volle Minute lang überdauerten, ehe es zur Interferenz kam. Da unten ist das so viel wie eine Million Jahre. Das

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