Licht
ist, als wäre die Unschärferelation außer Kraft.« Tates Lachen klang gezwungen. »Sind eine Million Jahre lang genug für uns, was meinst du? Kann das klappen? Aber dann… ich weiß nicht, was dann passiert ist. Die Fraktale…«
Kearney spürte, dass das eine Sackgasse war. Solche Resultate waren höchstwahrscheinlich falsch, zudem konnten sie nicht erklären, was er im Labor gesehen hatte.
»Warum hast du die Monitore zertrümmert, Brian?«
»Weil es keine Physik mehr war. Die Physik war beurlaubt. Die Fraktale fingen an…« – er suchte nach einem Wort, das wenigstens einigermaßen beschrieb, was sich vor seinem geistigen Auge abspielte – »auszulaufen. Dann ging die Katze rein und setzte ihnen nach. Sie spazierte einfach durch den Bildschirm und in die Daten hinein.« Er lachte und sah dabei von Kearney zu Anna. »Ob ihr mir’s glaubt oder nicht«, sagte er.
Alledem – seiner unerklärlichen Furcht, seiner Verrücktheit und seinem schlechten Gewissen, das Projekt erst an Meadows, dann an Sony verhökert zu haben, lag zugrunde, dass Tate nichts weiter als ein Teenager mit einer guten Note in Physik war. Seine Entwicklung war nicht über den neuesten Haarschnitt und die Idee hinausgekommen, er sei durch sein Talent zu Höherem berufen und werde es auch erreichen, vorausgesetzt die Erwachsenen ließen ihm alles durchgehen. Seine Frau hatte es ihm nicht mehr durchgelassen. Schlimmer noch, die Physik selbst schien entschlossen, sich seiner auf ebenso unerträgliche wie unergründliche Weise anzunehmen.
Kearney empfand Mitleid, bemerkte aber lediglich: »Die Katze ist hier, Brian. Sie sitzt auf deiner Schulter.«
Tate warf einen Blick auf Kearney, dann auf seine Schulter. Er schien die weiße Katze nicht zu sehen, die dort hockte und schnurrend das Material seines Parka knetete. Er schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er todunglücklich. »Sie ist fort.«
Anna starrte Tate an, dann die Katze, dann wieder Tate.
»Ich gehe«, sagte sie. »Ihr habt sicher nichts dagegen, wenn ich mir ein Taxi rufe.«
»Hier drinnen bekommst du keine Verbindung«, antwortete Tate, als rede er zu einem Kind. »Das ist ein Käfig.« Dann fuhr er leise fort: »Ich hatte keine Ahnung, wie sehr Beth darunter gelitten hat.«
Kearney berührte seinen Arm.
»Wozu brauchst du diesen Käfig, Brian? Was ist wirklich passiert?«
Tate fing an zu weinen. »Ich weiß es nicht«, sagte er.
»Wozu brauchst du den Käfig?«, beharrte Kearney. Er zwang Tate, ihn anzusehen. »Hast du Angst, dass etwas hier rein will?«
Tate wischte sich die Augen. »Nein, ich habe Angst, es könnte nach draußen gelangen«, sagte er. Er fröstelte und wandte sich mit einer merkwürdigen halben Drehung von Kearney ab, wobei er die Hand hob, um den Reißverschluss des Parka bis zum Anschlag hochzuziehen; die Drehung konfrontierte ihn unmittelbar mit Anna. Er fuhr zusammen, als habe er ganz vergessen, dass sie da war. »Ich friere«, flüsterte er. Er tastete mit einer Hand hinter sich, zog das Sitzmöbel hinter dem Tisch hervor und ließ sich hineinfallen. Die ganze Zeit über hockte die weiße Katze auf seiner Schulter, ohne die Balance zu verlieren, schnurrend. Tate blickte zu Kearney empor und sagte: »Ich friere die ganze Zeit.«
Er schwieg zwei Atemzüge lang, dann sagte er: »Eigentlich bin ich gar nicht hier. Keiner von uns ist hier.«
Tränen rollten in die dunklen Furchen, die seinen Mund umrahmten.
»Michael, kein Einziger von uns ist hier.«
Kearney trat rasch vor und zog, noch ehe Tate reagieren konnte, die Kapuze des Parka zurück. Das Neonlicht war unbarmherzig: Tate hatte einen Stoppelbart, sein Gesicht war von Erschöpfung gezeichnet, es wirkte gealtert, die Augen waren rot gerändert, als habe er ohne Brille gearbeitet oder die ganze Nacht geweint. Wahrscheinlich, dachte Kearney, traf beides zu. Die blassblauen Augen wässerten, waren leicht blutunterlaufen. Die Augen hatten am Ende nichts Merkwürdiges, abgesehen von den Tränen, die sich in einem silbrigen Strom aus den Innenwinkeln ergossen. Es waren zu viele, gemessen an Tates Kummer. Jede Träne bestand aus ganz ähnlichen kleineren Tränen und jede dieser kleineren Tränen aus ganz ähnlichen noch kleineren Tränen. In jeder Träne war ein winziges Bild. Wie tief man auch ging, wusste Kearney, es würde immer da sein. Erst hielt er es für sein Spiegelbild. Als er sah, was es wirklich war, packte er Anna beim Oberarm und versuchte sie aus dem Zimmer zu zerren. Sie wehrte
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