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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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Rosenwasser.
    Seria Maú sah ihnen eine Weile still zu, dachte nach. Hätte er das so auch mit ihr gemacht?
    Dann übernahm sie die Kontrolle über das Menschenquartier. Sie senkte die Temperatur in Zehnerschritten. Sie fuhr die Helligkeit herauf, bis es so hell war wie unter einer OP-Lampe. Sie leitete Desinfektionsmittel in die Klimaanlage. Mona warf den Arm über die Augen, dann, als sie ahnte, was los war, schubste sie Billy Anker von sich. »Geh weg hier, bevor es zu spät ist«, sagte sie. »O Gott, hau ab!« Sie krabbelte aus dem Bett in eine Ecke des Zimmers, wo sie sich, vor Furcht bebend, mit beiden Händen an den nächstbesten fest installierten Teil der Einrichtung klammerte und immer wieder flüsterte: »Ich war es nicht. Ich war es nicht.«
    Billy Anker stierte sie total perplex an. Er wischte sich das Aerosol aus dem Gesicht. Blickte auf seine Handfläche hinunter. Lachte.
    »Was ist los?«, fragte er.
    Seria Maú studierte ihn eingehend. Bei dieser Helligkeit sah er aus wie ein gerupftes Huhn. Sein Fleisch war so grau wie sein Haar. Sie war sich nicht mehr sicher, was sie an ihm gefunden hatte.
    Mit Schiffsstimme sagte sie: »Hier ist deine Haltestelle, Billy Anker.«
    Der Klon wimmerte, klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung an die Einrichtung und kniff die Augen ganz fest zu. »Und nicht wieder aufmachen«, riet ihr Seria Maú. »Das ist auch deine Haltestelle.« Sie stellte zur Mathematik durch.
    »Luftschleuse öffnen«, befahl sie.
    Sie überlegte einen Moment.
    »Nein, warte«, sagte sie.
     
    Zwei Minuten später stemmte sich an einer entlegenen Biegung des Strands und am Rand eines namenlosen Systems etwas aus dem Nirgendwo. Leerer Raum zuckte konvulsivisch. Ein sprühendes Feuerwerk aus Partikeln organisierte sich binnen ein, zwei Millisekunden zu den unansehnlichen Konturen eines K-Schiffes, dessen Triebwerke bereits feuerten – die White Cat schoss ins System, die lange Nadel aus Fusionsprodukten im spitzen Winkel zur Ekliptik.
    Fünfzig Jahre, nachdem die Menschheit den Strand erreicht hatte, hatten Erkundungen des Systems ein einzelnes solides Objekt entdeckt, das sich in einem gewagten orbitalen Eiertanz gegen die Gasriesen behauptete. Es handelte sich zweifelsfrei um einen Mond, einen ungewöhnlich großen allerdings. Die durch Gezeiten hervorgerufene Kernerwärmung hatte die Oberflächentemperatur in die Nähe der irdischen gehoben und eine flüchtige, dünne Atmosphäre aus lebenserhaltenden und lebensverträglichen Gasen erzeugt. Über dem komischen grünlichen Halo dieses Gasgemischs thronte der nahe lachsrosa Gasriese. Eine einzelne fraktale Struktur hatte den ganzen Trabanten in Besitz genommen. Obwohl die Struktur von weitem wie Vegetation aussah, war sie weder lebendig noch tot. Sie war nichts weiter als ein verrückter alter Algorithmus, der, freigesetzt von einem vorüberkommenden Navigationssystem, derart ins Kraut geschossen war, dass er alle Rohstoffe verbraucht hatte. Das Resultat waren unendlich viele Pfauenfedern in Millionen von Größen: ein raffiniertes, dreidimensional gewuchertes Muster. Mathematik, die nicht sterben wollte.
    Plüschig und samtig, umgeben von einem verschwindend dünnen Nebel ihrer selbst, überforderte sie das Auge aus jedem Blickwinkel. Sie hatte einen merkwürdigen und absorbierenden Einfluss auf das Licht. Sie lag spröde und schuppig da, zu einem kristallinen Zustand ihrer selbst zersplitternd, eine nutzlose alte Berechnung, die rein zufällig zum Milieu geworden war. Sie war Teil eines Bioms (* Biom = ökologische Lebensgemeinschaft (z. B. der Regenwald).): Zwischen ihren wunderlichen Deckblättern und Stängeln regten sich einheimische Lebensformen; sie bewegten sich auf eine Weise, die man mit verstört oder verstohlen hätte beschreiben können. Die Logik dieses Bioms war unklar, seine Fauna provisorisch. In der Morgen- oder Abenddämmerung zeigte sich zuweilen ein Mittelding zwischen Vogel und Krallenaffe, das sich mit peinlicher Sorgfalt bis zur Spitze einer riesigen Feder vorarbeitete, um ängstlich zu dem Gasriesen emporzustarren, bevor es die Augen schloss und damit begann, ein heimisches Abendlied zu flöten. Mehr wusste niemand; keiner hatte sich lange genug hier aufgehalten.
    Die White Cat brannte eine Lichtung in den Federnwald, blieb einen Moment in der Schwebe und ließ sich dann langsam nieder. In den nächsten paar Minuten passierte sonst nichts. Dann öffnete sich eine Ladeluke und zwei Gestalten platzten heraus. Sie

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