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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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zu.
    »Was ist los mit mir?«
    »Du hast es nie gewollt«, sagte er behutsam.
    »Und ob ich gewollt habe«, sagte sie. »Ich habe es von Anfang an gewollt, aber du hast es einfach nicht getan. Jedes zweite Mädchen in Cambridge wusste das. Du hast es ihnen mit der Hand gemacht, ohne jemals selbst zu kommen. Inge Neumann – die mit den Tarotkarten? – konnte es gar nicht fassen.« Jetzt sah er so gedemütigt aus, dass sie lachen musste. »Immerhin habe ich es geschafft, dass du gekommen bist«, sagte sie.
    Das Einzige, womit er sich wehren konnte, war, ihr von Stechginsterland zu erzählen.
    »Von der Straße aus konnte man das Haus unmöglich sehen«, sagte er. Er lehnte sich vor, als könne er sich so besser erinnern. »Es lag so versteckt. Nur Bäume voller Efeu, ein paar Meter Zufahrt mit dicken Moospolstern und das Namensschild.« Am Boden war es überall kalt und schattig, bis auf die Stellen, wo die Sonne durchbrach und aus der Wiese einen Lichtteich machte. »Es sah so real aus.« Das gleiche Licht fiel in ein Zimmer im zweiten Stock, wo es in der Hitze unter dem Dach immer später Nachmittag war und immer ein nach innen gewandtes Atemgeräusch zu hören war, wie von jemandem, der im Koma lag. »Dann kamen meine Cousinen und begannen sich auszuziehen.« Er lachte. »So jedenfalls hab ich mir das vorgestellt.« Als Anna ihn fragend ansah, sagte er: »Ich habe ihnen zugesehen und onaniert.«
    »Aber das war nicht real?«
    »O nein. Es war nur Phantasie.«
    »Dann verstehe ich nicht…«
    »In Wirklichkeit hatte ich nie etwas mit ihnen.« Es hatte nicht einen einzigen Annäherungsversuch gegeben. Sie waren ihm viel zu kraftvoll, zu roh gewesen. »Die Stechginsterphantasie hat mir alles verdorben. Als ich nach Cambridge kam, war ich wie paralysiert.«
    Er zuckte die Achseln.
    »Ich weiß nicht, wieso«, gab er zu. »Ich konnte das nicht vergessen. Es war so vielversprechend gewesen.«
    Sie starrte ihn an.
    »Aber das ist so egoistisch«, sagte sie, »andere für etwas benutzen, das sich immer nur innen in einem selbst abspielt.«
    »Ich bin vor den Dingen weggelaufen, die ich wollte…« versuchte er zu erklären.
    »Nein«, sagte sie. »Das ist schrecklich.«
    Sie nahm die Steppdecke beim Zipfel und zog sie hinter sich her ins Schlafzimmer. Er hörte das Bett knarren, als sie sich daraufwarf. Er schämte sich, kam sich erbärmlich vor.
    Er sagte kleinlaut, aber immerhin halbwegs überzeugt davon: »Ich habe immer gedacht, der Shrander sei die Strafe dafür.«
    »Geh weg!«
    »Du hast mich benutzt«, sagte er.
    »Nein. Nie!«

 
26
     
50.000 Kelvin
     
    »Wir hatten natürlich ein Riesenglück«, räumte Onkel Sip ein.
    Als Seria Maú in den Orbit zurückgekehrt war, war die Moire- Herdepraktisch allgegenwärtig gewesen. Die White Cat hatte sich, nicht ohne ihre Visitenkarte zu hinterlassen, schleunigst abgesetzt. Jetzt lag sie versteckt zwischen Gravitationsklippen und -untiefen und kommunizierte über ein zufällig wechselndes Netz aus Proxysendern mit Onkel Sip. Die Moire-Weide – diese Vorsichtsmaßnahme als Herausforderung betrachtend und heilfroh, einem Kampf entgangen zu sein, den zu gewinnen Onkel Sip nicht zugelassen hätte – hatte ihre Wunden geleckt und ihre Mathematik gebündelt und war dabei, das Proxynetz mit einer Geschwindigkeit von zehn Millionen Kombinationen pro Nanosekunde aufzurollen. Derweil Seria Maús Double zu Onkel Sip empor- und der zu ihr herabblickte. Was sie von ihm zu Gesicht bekam, war im Wesentlichen ein dicker hüpfender Bauch, der eine weiße Segeltuchhose an einem zwanzig Zentimeter breiten schwarzen Ledergürtel aufspannte; die modische Weste und das meerschaumfarbene Gesicht kamen nur selten zum Vorschein. In der einen Hand hielt er etwas, das einem Fernrohr aus Messing ähnelte, und in der anderen ein uraltes Papierbuch mit der Aufschrift The Galaxy and its Stars. Der flache Strohhut auf seinem Kopf sagte in Kursivschrift Kiss Me Quick.
    »Für Glück gibt es keinen Ersatz«, sagte er.
    Passiert war Folgendes: In der Hast, sich bei der Verfolgung der White Cat gegenseitig zu überbieten, war es im Parkorbit von Motel Splendido zwischen Onkel Sip und dem Kommandanten des schweren nastischen Kreuzers Touching the Void zur Kollision gekommen. Die Kollision ereignete sich, als Onkel Sips Fahrzeug, das K-Schiff El Rayo X – zusammen mit der Krishna-Moire-Herde eine inoffizielle Leihgabe von EMC –, als dieses Schiff bereits auf rund fünfundzwanzig Prozent der

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