Licht
grub gebrauchte Bücher aus, alte Videobänder und CD-Remasterings von Alben, die er einmal gemocht, zu denen er sich aber nie bekannt hatte. Sie trugen Titel wie The Unforgettable Fire und The Hounds of Love. Anna besah ihn von der Seite, amüsiert, verwirrt. Sie aßen dreimal am Tag, häufig in Fischrestaurants am Wasser, und Anna nahm anstandslos zu. Sie übernachteten mal hier, mal dort, mieden Motels, suchten stattdessen nach malerischen Bett-mit-Frühstück-Pensionen, die von rot lackierten Lesben im Ruhestand oder von ausgestiegenen Brokern Mitte vierzig geführt wurden. Echte englische Marmelade! Der Anblick von Möwen, Treibholz, umgedrehten Dorys. Saubere, am Meer gelegene Plätzchen.
Auf solcherart Umwegen kehrten sie zum Monster Beach zurück, wo Kearney ihnen ein holzverschaltes Ferienhäuschen mietete, das über eine schmale Straße und ein paar Dünen hinweg auf den Ozean hinausblickte. Es war inwendig so kahl wie der Strand, keine Vorhänge an den Fenstern, geschrubbte Holzböden, Sträuße von getrocknetem Thymian, die in Ecken hingen. Draußen im anlandigen Wind klammerten sich noch ein paar Reste eines blassblauen Anstrichs an die grauen Bretter.
»Aber wir haben Fernsehen«, sagte Anna. »Und Mäuse.« Später sagte sie: »Warum sind wir hier?«
Kearney war um eine Antwort verlegen.
»Ich würde sagen, wir verstecken uns.«
Nachts träumte er immer noch von Brian Tate und der weißen Katze, die in der stinkenden Hitze des Faraday’schen Käfigs wie Talg dahinschmolzen: Doch jetzt erlebte er sie zunehmend in Situationen, die keinen Sinn machten. Bizarre, förmliche Sitzhaltungen einnehmend entfernten sie sich im Überschlag, und zwar vor einem abgrundtief schwarzen Hintergrund. Die Katze, obwohl sie täuschende Ähnlichkeit mit einer gewöhnlichen Fayence hatte, war mannsgroß. (Dieses merkwürdige Detail, so die Anmerkung des Traums zu sich selbst, bewirkte bei Kearney einen Ausbruch lähmender, totaler, unglaublich deprimierender Trübsal.) Sich fortwährend überschlagend wurden sie kleiner und kleiner, um sich vor dem Hintergrund träge explodierender Sterne und Sternnebel hieratisch gestikulierend aus der Sichtbarkeit zu verabschieden.
Verglichen damit nahm sich der Tod von Valentine Sprake, gleichwohl unvermindert grotesk in der Erinnerung, wie eine Episode am Rande aus.
»Ja, wir verstecken uns«, wiederholte Kearney.
In seinem dritten Jahr in Cambridge – er war Anna noch nicht begegnet und hatte noch niemanden ermordet – hatte er eines Tages auf dem Weg ins Trinity College flüchtig in das Schaufenster eines Schreibwarenhändlers geblickt. Im Vorübergehen war ihm gewesen, als seien die ausgestellten, kostbar geprägten Hochzeitskarten für einen Moment ununterscheidbar mit den vielen achtlos weggeworfenen Bustickets und Geldautomatenquittungen auf dem Gehsteig verschmolzen. Das Innere und das Äußere, ging ihm auf, die Auslage und die Straße, das eine war nur des anderen Erweiterung.
Er unternahm immer noch Fahrten unter der Schirmherrschaft der Tarotkarten. Zwei oder drei Tage später, irgendwo zwischen Portsmouth und Charing Cross wurde sein Zug zuerst durch Gleisarbeiten aufgehalten, dann durch einen Triebwagenschaden. Kearney döste, dann wachte er jählings auf. Die Räder standen still, und er hatte keine Ahnung, wo er war. Der Zug musste in einem Bahnhof stehen; draußen war es bitterkalt, Passagiere streiften umher, unter ihnen zwei Geistliche mit jenem einheitlich schlohweißen Haar, dessen Fülle man den Laien geopfert hatte. Er fiel wieder in Schlaf und träumte kurz von den verlorenen Freuden in Stechginsterland, um plötzlich in der schrecklichen Gewissheit aufzufahren, dass er laut im Schlaf gerufen hatte. Das ganze Abteil hatte ihn gehört. Er war zwanzig Jahre alt, doch seine Zukunft war ein aufgeschlagenes Buch. Wenn er weiter so reiste, würde aus ihm jemand werden, der im London-Express schlief und Geräusche von sich gab, ein Mann in den mittleren Jahren mit schlechten Zähnen und einer Aktentasche aus Stoff, den Kopf unbequem in der Ecke zwischen Wand und Rückenlehne, während sich der Verstand auftrennte wie ein Pullover und alles unleserlich wurde.
Das war die letzte seiner Visionen. In ihrem Licht nahm sich das Tarot, der Visionengenerator, wie eine Falle aus. Die Karten sahen nach dem schnödesten aller Lebensläufe aus. Reisen – unendlich viele vielleicht – blieben darin nisten wie fraktale Dimensionen, doch das Medium war für ihn so
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