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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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Lichtgeschwindigkeit beschleunigt hatte. Dreißig oder vierzig Sekunden später steckte EL Rayo X tief unter der grünlichen rindenartigen Hülle des nastischen Schiffes und hatte die spiraligen Innereien bis zur Höhe des Kommando- und Kontrollzentrums durchdrungen. Touching the Void hatte den Zuwachs an Energie nach Newton’scher Manier in Wärme, Schall und eine geringfügige Beschleunigung in Richtung der Kleinen Magellan’schen Wolke verwandelt. Im Nu hatten sich Scharen von Schattenoperatoren eingefunden, um die Schäden an der Hülle in Augenschein zu nehmen. Ein Schwarm aus winzigen Reparaturmaschinen – einfach gestrickten Programmen, die sich eines Substrats aus intelligentem Keramikklebstoff bedienten – fingen an, das Loch zu verschließen.
    »In der Zwischenzeit«, sagte Onkel Sip, »stelle ich fest, dass der Bursche als solcher schon tot ist, obwohl ihn seine Schiffsmathematik als eine Art Double am Leben erhält. Ich sage: ›He, wir können trotzdem zusammenarbeiten. Diese Art von Tod ist doch kein Hindernis.‹ Und er pflichtet mir bei. Zusammenzuarbeiten sei vernünftig. Zusammenarbeit ist eben manchmal genau das Richtige.«
    Das war die Situation. Onkel Sips Schattenoperatoren, in der korrekten Annahme, dass weder die Touching the Void noch die El Rayo X aus eigener Kraft irgendwohin konnten, begannen zwischen der Mathematik des K-Schiffs und dem Antriebssystem seines neuen Wirts Softwarebrücken zu stricken. Das hatte noch nie jemand versucht: Doch binnen Stunden war man wieder flott und der White Cat auf den Fersen, Nationalität, Position und Motive durch jene Doppelkennung verschleiert, die Seria Maú so zu schaffen gemacht hatte. »Eine Menge Glück war im Spiel«, wiederholte Onkel Sip. Er schien diese Vorstellung zu mögen. Er spreizte zufrieden die Hände. »Auch wenn das eine oder andere schief gelaufen ist. Hauptsache, wir sind am Ziel.«
    Er blickte auf sie herab. »Du und ich, Seria Maú«, sagte er, »wir sollten ebenfalls zusammenarbeiten.«
    »Da kannst du lange warten, Onkel Sip.«
    »Wieso das?«
    »Aus tausend Gründen. Vor allem aber, weil du deinen Sohn getötet hast.«
    »He«, sagte er. »Das warst du. Nun guck nicht so!« Er schüttelte den Kopf. »Schöne Sache, wenn man so rasch vergessen kann.«
    Seria Maú fühlte sich überrumpelt.
    »Aber du hast mich auf ihn angesetzt«, sagte sie. »Du hast mich scharf gemacht und mich losgeschickt. Und warum überhaupt die Aufregung, wo du doch wusstest, wo Billy steckte? Du hast es die ganze Zeit gewusst, sonst hättest du es mir ja nicht sagen können. Du hättest ihn jederzeit aufsuchen können. Warum der Aufwand?«
    Onkel Sip überlegte, was er ihr antworten sollte.
    »Ja, das stimmt«, gab er schließlich zu. »Ich hätte ihn nicht erst suchen müssen. Aber ich wusste auch, dass er nie mit seiner mysteriösen Quelle herausrücken würde. Zehn Jahre hat er da unten in dieser gottverlassenen Waschküche gehockt und gehofft, ich würde ihn fragen, nur um dann Nein sagen zu können. Also hab ich ihm geschickt, was er brauchte: eine traurige Geschichte nämlich. Ich hab ihm gezeigt, dass man auf der Welt noch Gutes tun kann. Ich habe ihm jemanden geschickt, der schlimmer dran war als er, jemanden, dem er helfen konnte. Ich rede von dir, verstehst du? Ich wusste, er würde dir anbieten, dich hinzubringen.«
    Er zuckte die Achseln.
    »Ich wollte euch folgen«, sagte er.
    »Du bist ein Mistkerl, Onkel Sip.«
    »Das höre ich nicht zum ersten Mal.«
    »Tja, Billy hat mir am Ende überhaupt nichts verraten. Du hast ihn falsch eingeschätzt. Er ist nur an Bord gekommen, um es mit Mona zu treiben.«
    »Ah«, machte Onkel Sip. »Alle wollen es mit Mona treiben.«
    Er lächelte versonnen.
    »Mona war auch ein Kind von mir«, sagte er. Dann schüttelte er traurig den Kopf. »Seit Billy aus dem Brutkasten war, lief alles schief zwischen uns. So was soll es geben zwischen Vater und Sohn. Vielleicht hab ich ihn zu hart rangenommen. Aber er hat sich nie gefunden, verstehst du? Was schade war, denn er war mir so ähnlich – damals, bevor ich eine Grenze zu viel überschritten und mir diese Fettsache eingehandelt habe.«
    Seria Maú unterbrach die Verbindung.
     
    Das Heulen von Sirenen. Unter der zwischen Blau und Grau wechselnden Innenbeleuchtung kam sich die White Cat verwaist und heimgesucht zugleich vor. Schattenoperatoren hingen unter der Decke des Menschenquartiers, zeigten auf Seria Maú und tuschelten miteinander wie ihre

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