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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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loszukommen.
    »Wir könnten sie zurückbekommen«, schlug sie vor. »Wir könnten sie als Cultivar zurückbekommen. Das ist einfach. Das wäre ganz leicht.«
    Der Vater schüttelte den Kopf. Er erklärte, warum er das nicht wollte. »Dann will ich nicht sie sein«, sagte das kleine Mädchen. »Ich will was Besseres sein.«
     
    Die Mathematik fand ein hübsches Versteck. Die Mathematik hatte eine kleine Sonne vom G-Typ gefunden, ein wenig müde schon, aber mit einer Reihe von Planeten, die in der Ferne leuchteten wie Bullaugen bei Nacht.
    Das Denkwürdige an dem System, das auf den Namen Perkins’ Rent hörte, waren die unzähligen Fremdschiffe, die dichtauf in einem lang gezogenen Kometenorbit hingen, dessen Aphelium die Entfernung zum nächsten Stern halbierte. Die Schiffe waren ein bis dreißig Kilometer lang, hatten stumpfgraue Hüllen, so zäh und dick wie Speckschwarten, und waren so unregelmäßig geformt wie Asteroiden – kartoffelförmig, hantelförmig, exzentrisch mit Löchern – und jedes Einzelne unter einer zwei Fuß dicken Staubablagerung aus einer berechenbaren und nicht sehr jungen stellaren Katastrophe. Staub des Lebens, obwohl es hier kein Leben gab. Wem immer sie gehörten, er hatte sie aufgegeben, als es noch keine Proteine auf der Erde gab. Ihre weitläufigen nautiloiden Innenräume waren so sauber und leer als hätten sie nie jemanden beherbergt. Von Zeit zu Zeit stürzte ein Teil dieser Karawane in die Sonne oder tauchte Schiff um Schiff in die Methanmeere des hiesigen Gasriesen: Aber irgendwann einmal war sie stabil gewesen.
    Diese Geisterkarawane war das wirtschaftliche Schwungrad von Perkins’ Rent. Man behandelte die Schiffe wie andere Rohstoffquellen auch: Man baute sie ab. Niemand wusste, was die Schiffe hier sollten, woher sie kamen oder wie sie funktionierten; also zerlegte man sie und schmolz sie ein und verkaufte sie über einen Subunternehmer an ein Unternehmen im Zentrum der Milchstraße. Eine solide kleine Systemwirtschaft. Was wäre naheliegender gewesen? Um die dergestalt abgebauten Schiffe trieben unberechenbare Wolken aus Abfall: Schlacke, bedeutungslose Innereien aus Metallen, die niemand wollte oder auch nur annähernd verstand, Abfallprodukte der automatischen Schmelzöfen. In einer solchen Wolke fand die White Cat ein schnuckeliges Plätzchen unter lauter Bestandteilen, die zwei- bis dreimal so groß waren wie sie selbst. Sie überließ sich dem lokalen chaotischen Attraktor, schaltete die Triebwerke ab und war ab sofort unidentifizierbarer Teil der Statistik. Seria Maú Genlicher erwachte wütend aus ihrem jüngsten Traum und aktivierte das Supercargosystem.
    »Hier ist Endstation«, erklärte sie ihnen.
    Sie schmiss die Ausrüstung der Menschen aus dem Frachtraum, dann öffnete sie das Quartier. Die Luft machte ein sattes pfeifendes Geräusch, als sie ins Vakuum entwich. Gleich darauf hatte das K-Schiff eine eigene kleine Wolke, bestehend aus gefrorenen Gasen, Gepäck und Stofffetzen. Dazwischen trieben fünf blaue dekomprimierte Körper. Zwei hatte es beim Vögeln erwischt, sie waren noch miteinander verquickt. Den Klon loszuwerden, erwies sich als überaus schwierig. Die Frau klammerte sich an die Inneneinrichtung, erst kreischend, dann die Lippen aufeinander pressend. Die Luft fauchte an ihr vorbei, doch sie wollte nicht loslassen, nicht mitgerissen werden. Nach einer Weile tat sie Seria Maú Leid. Seria Maú schloss die Luken und setzte das Quartier wieder unter Druck.
    »Draußen sind fünf Leichen«, instruierte sie die Mathematik. »Unter den Männern muss auch ein Klon gewesen sein.«
    Keine Antwort.
    Die Schattenoperatoren hingen in den Nischen, Hand vor dem Mund, Gesicht abgewandt.
    »Seht mich nicht so an«, sagte Seria Maú barsch. »Diese Leute haben irgendeinen Transponder an Bord geschmuggelt. Wie sonst hätte man uns folgen können?«
    »Es war kein Transponder an Bord«, sagte die Mathematik.
    Die Schattenoperatoren regten sich und bewegten sich wie Unterwasserpflanzen in der Strömung. »Was hat sie getan, was hat sie getan?«, raunten sie mit sterbenskranken, dünnen Stimmen. »Sie hat sie alle getötet, alle getötet.«
    Seria Maú ignorierte sie.
    »Da muss etwas gewesen sein«, sagte sie.
    »Da war nichts«, versicherte ihr die Mathematik. »Diese Leute waren einfach nur Leute.«
    »Aber…«
    »Es waren nur Leute«, sagte die Mathematik.
    »Du liebe Zeit«, sagte Seria Maú nach einem Augenblick. »Niemand ist unschuldig.«
     
    Der Klon

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