Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison

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sie laut. »Und sie mich auch, das weiß ich genau.«
    Das betete sie nun schon seit fünf Stunden vor sich hin. Sie besah sich die Verwaltungsgebäude, den Traktorparkplatz und den staubigen Schulhof, auf dem sich die Papierabfälle gegenseitig jagten.
    Was für eine Müllkippe, dachte sie. Perkins’ Rent! Sie lachte. Entfernte sich ein Stückchen vom K-Schiff, zündete sich eine Zigarette an und wartete am Straßenrand, dass jemand vorbeikam und sie mitnahm. »Genauso sieht es hier aus«, sagte sie. »Der Name sagt alles.«
    Sie fing wieder an zu heulen, was man aber von jenseits des Schulhofs nicht erkennen konnte, wo die Kinder noch an den Scheiben klebten und die Mädchen mit neidvollen Blicken an ihrem engen pinkrosa schimmernden Kleid, den lackledernen Stöckelschuhen und den karminroten Fingernägeln hingen, derweil die Jungen sie nur aus den Augenwinkeln musterten. Wenn ich mal groß bin, dachten die Jungs, werde ich dich drüben im Zentrum der Milchstraße aus den Fängen der Genpfuscher und missratenen Cultivare befreien. Und du wirst dankbar sein und mir zur Belohnung deine Titten zeigen. Ja, mich sogar mal anfassen lassen. Wie schön und warm sich diese Titten anfühlen mussten, wenn sie einem in den Händen lagen.
    Kann sein, dass der Klon solcherart Gedanken ahnte, denn sie machte kehrt und trommelte an die Hülle der White Cat.
    »Lass mich wieder rein«, rief sie.
    Die Ladeluke ging auf.
    »Du solltest dich entscheiden«, sagte Seria Maú.
    Ein, zwei Minuten später tauchten die lokalen Abfangstaffeln auf, die gestartet waren, als das K-Schiff die äußere Atmosphäre berührt hatte. Nach hinreichender Nahaufklärung formierten sie sich zu einem Angriff. »Guck dir diese Idioten an«, sagte Seria Maú. Dann über Funk: »Habe ich nicht klipp und klar gesagt, ich würde nicht bleiben?« Sie schoss auf einem dünnen aber sichtbaren Schweif aus ionisiertem Gas in den Himmel und verließ lotrecht mit nicht ganz Mach 40 den Gravitationstrichter. Die Kinder jubelten. Donner grollte um Perkins IV herum, um sich auf der anderen Seite zu begegnen.

    Von jenseits der Atmosphäre nahm sich Perkins Rent wie ein erblindendes Auge aus. Der Klon saß in seiner Kabine und starrte apathisch auf das System hinunter, umringt von lauter Schattenoperatoren, die sie zwar nicht berührten, aber ihre Finger auch nicht bei sich halten konnten, und ständig ihre leidvollen Phrasen von Schuld und Bedauern raunten. »Besser, ihr hört auf, bevor ihr damit anfangt«, drohte Seria Maú Genlicher. Mit einer relativ preiswerten Maßnahme verjagte sie zwei orbitale Abfangjäger, dann zog sie die Mathematik zu Rate, warf die Dynaflowtreiber an und überantwortete ihr Schiff der ewigen Nacht.
    Ein paar Dutzend Nanosekunden später stahl sich ein wohl vertrautes Objekt aus der Geisterkarawane und hängte sich an ihre Fersen. Narben auf der Hülle zeugten von einem Hochtemperaturereignis in allerjüngster Zeit.

15

»Bring ihn um, Bella!«

    Ed achtete darauf, sich nicht nur mit Neena sondern auch mit Tig zu unterhalten.
    Die Straße war ein harter Job. Überall war Polizei. Überall waren die Cray-Schwestern. (Ed witterte sie, wie sie da draußen im nächtlichen New Venusport ihren Groll hegten, kalt wie Fische. Er fühlte sich viel zu sicher im Gehege, wo sich nur Plankton seines Schlages ansammelte, knapp unter der Oberfläche im trübblauen Halbdunkel.) Tig kam immer später nach Hause. Er hatte immer Hunger, aber keine Zeit zum Essen. Wenn er müde war, lief sein Gang noch mehr aus dem Ruder.
    »Ich bin’s. Tig«, sagte er auf der Schwelle, als betrete er das Kabuff nur ungern ohne Eds Erlaubnis.
    In manchen Nächten ging Ed noch einmal mit ihm nach draußen. Sie blieben im Außenbezirk und dealten um Kleingeld. Eckensteherei, ein bisschen hier, ein bisschen da. Sollte Tig den Verdacht hegen, dass Ed es mit Neena trieb, so ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. Nach einer stillschweigenden Übereinkunft blieben auch die Cray-Schwestern unerwähnt. Viel mehr hatten sie aber nicht gemeinsam, also redeten sie die meiste Zeit über Ed. Das konnte Ed nur recht sein. Reden half. In der dritten Woche hatte er dank Neenas Großzügigkeit begonnen, große Stücke seiner Vergangenheit zurückzugewinnen. Das Problem war, dass sie nicht zusammenfanden. Sie wurden plötzlich aufgerührt – Bilder, Orte, Ereignisse, eingefangen von einer unsteten Kamera unter schlechten Lichtverhältnissen. Das verbindende Gewebe fehlte. Sie