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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Ernst
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Streifen. Eines der Flugzeuge scherte aus und kam in rasender Schnelligkeit auf die Erde zu. Wahrhaftig, es brannte!
    Auf einmal waren zwei, drei Fallschirme sichtbar. Wie große Wattebäusche hingen sie über dem brennenden Flugzeug in der Luft, wurden vom Wind über Blockstein getrieben, jeder in eine andere Richtung, während das Flugzeug am Fuß des Blocksteins zerschellte mit einer ungeheuren Detonation. Mit ihm drei Besatzungsmitglieder, die nicht mehr hatten abspringen können.
    Anna Rauscher saß um diese Zeit vor der Hütte und las zum dritten Mal den Brief, den der Vater ihr gestern, als er die Almerträgnisse abholte, mitgebracht hatte. Er war von Thomas Staffner. Nun wusste sie es also, dass man ihm den linken Arm abgenommen hatte. Er schrieb das so trocken wie alles andere.
    »Der linke Arm ist futsch. Aber ich habe mir sagen lassen, dass man auch mit dem rechten Arm allein den Traktor noch steuern kann.«
    Vergeblich suchte Anna nach einem Wort der Liebe. Ein anderer hätte vielleicht Angst gehabt und gefragt, ob sie ihn als Krüppel noch möchte. Für Thomas schien dies eine Selbstverständlichkeit zu sein. Er schloss seinen Brief wie immer mit recht freundlichen Grüßen.
    Nun musste sie ihm wohl schreiben und seit gestern quälte sie sich bereits mit den Gedanken herum, was auf einen solch trockenen Brief zu antworten wäre. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als das Mitleid sprechen zu lassen und zu fragen, ob er Schmerzen habe, und ihm zu sagen, dass er in all diesem Missgeschick als Trost sehen möge, dass der Krieg für ihn ja nun zu Ende sei.
    Ach, und wie gerne hätte sie ihm geschrieben: »Geliebter Thomas.« Oder auch: »Mein innigst geliebter Thomas…«
    Sie horchte in sich hinein, aber in ihrem Herzen fanden diese Worte keinen Widerhall. In ihrem Herzen war kein Jubel, keine Sehnsucht und keine aufgeregte Freude auf ein baldiges Wiedersehen. Nur ehrliches Mitleid, wie man es für jeden Menschen empfindet, der einen Arm verliert, zumal, wenn er noch so jung ist wie Thomas Staffner.
    Als sie aufblickte, sah sie durch die schmale Gasse eines Kahlschlags einen kleinen Ausschnitt des Dorfes Blockstein. Ein paar Häuser nur, und hoch über ihnen die Kirche mit dem Friedhof.
    Die Sonne flutete warm über den Hang und beschien das Feldkreuz, das hinter dem Brunnentrog stand. Der Gekreuzigte spiegelte sich im Wasser des Troges, aber weil aus einem Eisenrohr immer neues Wasser in den ausgehöhlten Baumstamm rann, stand es nie ganz still, so dass die Gewalt des Heilands immer ein wenig verzerrt und in Bewegung war.
    Den Kopf gegen die Wand lehnend, schloss Anna die Augen. Sie dachte daran, dass Thomas ja nun bald kommen werde. Sie sah es genau vor sich, wie er den Hang heraufkommen und dann neben ihr sitzen würde, still und schweigsam, wie er immer neben ihr gesessen hatte.
    Sie schaute auf, als die Flugzeuge heran brummten,
    und hörte die heftige Detonation des abstürzenden Flugzeugs.
    Plötzlich kam Leben in sie. Vor Schreck sprang sie auf und ihre Augen weiteten sich dem weißen Punkt entgegen, der immer größer wurde und über die Fichtenwipfel niederschwebte. Ein Fallschirm! Und der kleine, schmale Strich am unteren Ende des Fallschirms mochte wohl ein Mensch sein, der hilflos in den Schnüren hing und weder dem Wind Widerstand gebieten, noch die Richtung bestimmen konnte.
    Gott steh ihm bei. Wenn es ihn gegen die Felswände trieb, war er rettungslos verloren.
    Sollte er etwa nicht verloren sein? Hatte nicht auch Thomas seinen Arm verloren? Und bekam die Mutter nicht mit jedem Tag weißeres Haar, seit von Matthias keine Nachricht mehr kam? Nein, nein, nur kein falsches Mitleid. Mochte es ihn nur gegen den Felsen treiben. Es wäre nur ausgleichende Gerechtigkeit.
    Auf einmal wurde der Fallschirm wie von einem Sog erfasst auf das Almfeld zugetrieben. Er glitt eigentlich jetzt ziemlich schnell nieder. Die Leitkuh rannte mit bimmelnder Glocke erschrocken davon. Gleich darauf berührte der Mensch den Boden, überschlug sich ein paarmal und blieb erst liegen, als der große, bauschige Fallschirm sich im Almzaun verfing und langsam in sich zusammenfiel.
    Mit raschen Sprüngen hetzte Anna den Hang hinauf. Ihr Schritt verlangsamte sich erst, als sie sich dem Abgesprungenen näherte. Der rührte sich nicht. Regungslos lag er da, seine Augen waren geschlossen. Vielleicht war er tot.
    Zögernd näherte sie sich, kniete neben ihm nieder und legte ihre Hand auf seine linke Brustseite. Plötzlich

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