Licht vom anderen Ufer
merkte sie, dass ihre Finger etwas Warmes, Klebriges berührten. Es war Blut, das auf der linken Brustseite in einem dünnen Rinnsal durch einen Schlitz der Fliegerkombination sickerte.
Erschrocken zog sie ihre Hand zurück und horchte um sich. Nichts rührte sich. Nur der Wind sang leise über den Fichtenwipfeln und einmal gurrte ein Vogel in der Tiefe des Waldes.
Was muss ich denn jetzt nur tun?, überlegte Anna. Es war wohl am besten, wenn sie ins Tal hinunterlief und Hilfe holte, denn tot war der Mann nicht, das sah sie jetzt. Sein Atem bewegte die dünnen Gräser vor seinem Mund.
Wenn sie sich beeilte, konnte sie in einer halben Stunde im Dorf sein. Nach einer weiteren Stunde konnte die Hilfe da sein.
Anna sah noch einmal in sein blasses Gesicht. Dann hetzte sie los. In ihr war nur noch der eine brennende Wunsch, ihm zu helfen. Ausgelöscht waren alle Nebengedanken, jede Feindseligkeit war verschwunden. Nur mehr der hilflose, leidende Mensch existierte in ihren Gedanken.
Plötzlich hielt sie mitten im Lauf inne. Wie sah die Hilfe denn aus? Was würde mit ihm geschehen? Sie hatte gehört, dass man anderenorts abgesprungene Feindflieger gelyncht oder gar erschlagen hätte.
Der Vogel rief wieder in der Tiefe des Waldes und über die Berge zogen dunkle Stockwolken herauf. Friedlich grasten die Rinder über den Almboden hin und der Rauch aus der Esse, der zuerst kerzengerade in die Höhe gestiegen war, schlich nun geduckt in östliche Richtung.
Anna kehrte um. Der fremde Soldat lag immer noch regungslos da. Aber als sie sich niederbeugte, um sein Gesicht näher zu betrachten, schlug er die Augen auf und sah sie an. Es war nicht gewiss, ob er erkannte, dass es ein Mädchen war. Aber plötzlich schien er hellwach zu sein und griff nach seiner Pistole.
Anna blieb unbeweglich stehen. Nur ihre Brauen zogen sich finster zusammen. »Lass das«, sagte sie mit einem Anflug von Zorn.
Müde fiel seine Hand mit der Pistole herunter. Dabei knirschte er mit den Zähnen. Wahrscheinlich hatte er Schmerzen. Er legte den Kopf gerade und nun stand nur das blaue Himmelsgewölbe über ihm, ein ungeheurer Dom in makelloser Reinheit, aber am westlichen Rand waren schon die aufsteigenden Wolken eines Wetterumschwungs zu sehen.
Auf einmal schien ihm alles wieder einzufallen. Seine Brauen bewegten sich schmerzlich zuckend und in seinem Blick war etwas wie flatternde Angst.
»Hast du Schmerzen?«, fragte Anna und dachte gleichzeitig: Ach, er versteht ja meine Sprache gar nicht.
Der Amerikaner aber verstand sie sehr gut. Er sah sie nun an, ganz ohne Angst und sehr gefasst. Seine Augen waren hellblau und Anna musste sofort an die Augen ihres Vaters denken. Unter der verrutschten, ledernen Fliegerkappe stahl sich ein Büschel blonder Haare hervor.
»Du wirst mich kaum verstehen«, meinte Anna und überlegte, wie sie sich sonst verständlich machen sollte.
Da huschte ein Lächeln um seine Lippen. »Doch, ich versteh dich sehr gut. Die Schmerzen sind auszuhalten. Aber – was willst du jetzt mit mir tun?«
Anna wusste genau, dass sie ihm helfen würde. Aber in ihr war der leise Groll, der allgemein gegen diese Feindflieger vorhanden war, weil ihre Bomben auch Frauen und Kinder trafen.
Sie setzte sich neben ihn nieder und schlang die Arme um die aufgezogenen Knie. »Vielleicht werde ich zusehen, wie du stirbst«, sagte sie.
Der Flieger hob die Pistole wieder und reichte sie ihr.
»Geladen und gesichert«, sagte er, als gäbe er einem Rekruten auf dem Schießstand die ersten Instruktionen. »Du musst nur den kleinen Hebel an der Seite zurückschieben, dann kannst du mich erschießen. Mach möglichst schnell, dann brauchst du nicht lange zu warten, bis ich sterbe.« Er deutete auf seine Schläfe hin. »Genau hierher musst du halten. Um keinen Zentimeter tiefer, sonst schießt du mich nur blind.«
Das Metall lag kühl in Annas heißer Hand. Sie wunderte sich über sein klares Deutsch. Dann betrachtete sie die Pistole wieder. Sie hatte noch nie so ein Ding in der Hand gehabt und begriff kaum, dass man damit einen Menschen töten könne.
Langsam stand sie auf, holte weit aus und warf die Pistole in das Gebüsch. Dann sah sie wieder auf ihn nieder.
»Dummkopf«, sagte sie. »Warum soll ich dich umbringen?«
»Ich bin wehrlos in deiner Hand. Es wäre immer noch tröstlicher für mich, von deiner Hand schnell zu sterben, als wenn du mich auslieferst. Ich weiß ja, was mir blüht.«
»Es wird mir aber nicht anderes übrig bleiben. Was
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