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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Ernst
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kleinen Fenster sagte ihr, dass es höchste Zeit gewesen war, denn am Waldrand wurde etwa ein Dutzend Männer sichtbar, allen voran der Polizeiwachtmeister Federl mit dem Karabiner unter dem Ann. Die anderen trugen Jagdgewehre oder dicke Prügel und Armbinden mit der Aufschrift »Volkssturm«.
    Annas Herz klopfte wie rasend. Einen kurzen Blick warf sie noch auf den fremden Flieger. Seine Augen sahen sie starr an.
    »Hab nur keine Angst«, flüsterte sie. »Es wird alles gut gehen. Du musst dich nur ganz still verhalten.«
    Sie schloss die Tür hinter sich ab und steckte den Schlüssel ein. Ein paar Sekunden stand sie dann wie gelähmt im großen Hüttenraum. Dann trat sie vor den Spiegel, um ihr Haar zu ordnen, das sich bei der Anstrengung gelöst hatte. Zu ihrem Schrecken gewahrte sie, dass ihr Hals und der Spenzer voller Blut waren. In fliegender Eile riss sie das Kleidungsstück herunter, wusch sich und schlüpfte in ein anderes Hemd. Dann hörte sie schon Stimmen auf die Hütte zukommen. Kurz presste sie die Hände noch an die hämmernden Schläfen, dann gab sie sich einen Ruck und öffnete die Tür.
    Es gelang ihr, ihren Augen ein Staunen aufzuzwingen und ihrem Mund ein kleines Lächeln. Vor ihr stand der Wachtmeister Federl und hinter ihm die Bauern. Kriegerisch und voller Tatendrang sah nur der Federl aus. Die anderen Gesichter waren recht missmutig und von keinem kämpferischen Geist erfüllt. Vielleicht kamen sie sich vor wie die Treiber einer Großjagd, die hinter einem Hirsch her waren, der ihnen entkommen war. Der Lachner lehnte erschöpft am Zaun, weil er an Asthma litt, und der Kondula schnaufte mit seinem Kropf wie der Elfuhrzug. Der Knecht vom Söllerbauer hockte sich auf einen Felsbrocken und sagte in aller Seelenruhe:
    »Jetzt mag ich nicht mehr.«
    Der Federl legte den Sicherungsflügel an seinem Karabiner um und hängte ihn über die Schulter. Mit einer Amtsmiene, die so scharf war wie das Messer einer Häckselmaschine, fragte er: »Es sind drei Fallschirme niedergegangen. Einer musste meiner Schätzung nach
    hier irgendwo niedergegangen sein. Es ist unsere Pflicht, ihn zu finden. Hast du etwas beobachtet?«
    »Der Schirm allein nützt gar nichts«, sagte der Bachl.
    »Natürlich nicht«, antwortete der Federl. »Aber das, was dranhängt. Also, Anna, hast du etwas wahrgenommen? Weit kann er nicht gekommen sein und nach meiner unmaßgeblichen Meinung – «
    Weil er so lange geredet hatte, hatte Anna genügend Zeit gehabt, sich zu sammeln, und sie unterbrach ihn nun:
    »Ich hab keine Menschenseel’ gesehn.«
    Kaum hatte sie das gesagt, war ihr bewusst, dass sie sich jeden Rückweg verbaut hatte.
    Es war nur gut, dass der Federl nicht mehr der forsche Polizist der ersten Kriegsjahre war, denn sonst hätte er jetzt unweigerlich befohlen, die Hütte zu durchsuchen. Vielleicht fühlte er auch, dass die Bauern ihm nur mit Widerwillen folgten. Immerhin raffte er sich noch zu dem lahmen Befehl auf:
    »Weit kann er nach meiner unmaßgeblichen Meinung nicht gekommen sein. Wir wollen jetzt noch den Wald da oben durchstreifen. Vielleicht hat er sich dort irgendwo verhängt.«
    Da sagte der Knecht vom Söllerbauer ganz ruhig:
    »Du kannst mir jetzt nach deiner unmaßgeblichen Meinung den Buckel runterrutschen. Ich bin mit meinen sechzig Jahren nimmer so gut auf die Füß wie du. Und überhaupt, ich werd ja dafür nicht bezahlt. Lasst ihn doch laufen, den armen Teufel.«
    Das konnte der Federl nicht mehr so ohne weiteres schlucken. Noch war Krieg und diese Männer standen unter dem Gesetz dieses Krieges, genauso wie er. Mit schnarrender Stimme schrie er den Alten an: »Das will ich überhört haben, Ferdinand.«
    Der Ferdl kicherte. »Hab ich vielleicht nicht laut genug geredet? Dann muss ich es halt noch mal sagen: Ich mag nicht mehr.«
    »Ferdinand Bichler, ich erinnere dich daran, dass du einen Eid geschworen hast und dass es deine verdammte Pflicht ist mitzuhelfen, den abgesprungenen Terrorflieger zu fangen. Sonst müsste ich dich melden.«
    »Meld mich halt. Dann sollen sie mich einsperren. Es tut mir grad gut, wenn ich einmal ein paar Wochen ausruhen kann. Ich hab sowieso in meinem ganzen Leben noch keinen Tag Urlaub gehabt.«
    »Eigentlich hat er Recht, der Ferdl«, pflichteten jetzt andere dem Söllerknecht bei. »Daheim lassen wir die Arbeit liegen und rennen stattdessen hier oben umeinander. Wer weiß, wo der niedergegangen ist! Die Richtung täuscht oft.«
    Es ging dann tatsächlich so aus, dass der

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