Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren

Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren

Titel: Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
Vom Netzwerk:
hatte die Flammen zurückgestoßen. Nun tat sie dasselbe mit dem ausgestreckten Arm des Schützen. Mit all ihrer magischen Kraft stieß sie dagegen, und als die Waffe in hohem Bogen davonflog, drehte sich der Kopf des Mannes hinterher, blankes Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hinter sich vernahm Telmaine ein Schnappen, und schon spürte sie, wie etwas an ihrem Kopf vorbeizischte. Der Attentäter stöhnte auf, und ihr nächster Peilruf zeigte ihr den kurzen Pfeil, der zwischen seinen Rippen steckte. Seine Hand tastete danach, packte den Pfeil und rüttelte daran, riss ihn heraus. Dann öffnete er den Mund und verzog wütend das Gesicht, konnte es nicht fassen, dass so etwas ausgerechnet ihm passieren sollte. Mit erschreckender Endgültigkeit fiel er hintenüber. Seine Beine zuckten noch kurz, wie die eines Kaninchens, dem man das Genick gebrochen hatte, ehe er leblos liegen blieb. Sie roch Blut und Exkremente, als sich Darm und Blase entleerten. Den anderen Mann hörte und peilte sie noch an jener Stelle, wo ihr Sonar ihn zum ersten Mal erkannt hatte – er lag ausgestreckt am Boden, erstickte am Blut in seiner durchlöcherten Lunge und bedeutete für niemandem mehr eine Gefahr.
    Eigentlich hätte sie betroffen sein müssen. Sie hätte wenigstens ein kleines bisschen Mitleid für diese Männer empfinden sollen. Doch sie erinnerte sich noch allzu gut an die erste Berührung von Balthasars kalter Haut und den ersten Eindruck seiner schrecklichen Verletzungen, den sie mithilfe ihrer Magie gewonnen hatte. Desgleichen erinnerte sie sich an Florilindes Schreie, als sie von diesen Männern verschleppt worden war, und noch einmal Tage später, als das Lagerhaus lichterloh gebrannt hatte. Jetzt konnte sie verstehen, was anständige Männer dazu trieb, auf den bereits am Boden liegenden Feind zu spucken.
    Als sie den Steward um Hilfe schreien hörte, fuhr sie in der Hocke so schnell herum, dass ihr gar keine Zeit blieb, sich darüber Gedanken zu machen, was sie wohl erwarten mochte. Doch Fürst Vladimer saß – ja, tatsächlich, er saß – in der Abteiltür und wandte seinen Kopf in alle Richtungen, um sofort auf mögliche Geräusche und Peilungen reagieren zu können. In ihrer geradezu albernen Erleichterung kam er ihr mit seinem ausgestreckten Bein vor wie eine Marionette, die jemand achtlos in der Ecke eines Kinderzimmers sitzen gelassen hatte. Sein rechter Arm hing schlaff herunter, und mit der linken Hand hielt er den Griff seines Gehstocks fest, der auf seinem Schoß lag und in ihre Richtung zeigte.
    Zwei gegen einen , dachte Telmaine, und dann auch noch aus dem Hinterhalt. Ishmael hätte von Vladimer gewiss nichts anderes erwartet. Sie rappelte sich auf, wusste jedoch nicht, was sie sagen sollte, denn die Ausbildung einer Dame nach allen Regeln der Etikette – so umfassend sie auch sein mochte – schloss derlei Situationen leider nicht mit ein. Vladimers Peilruf traf sie hart. Er fasste seinen Stock fester, rührte sich ansonsten aber noch immer nicht. Telmaine, die zaghaft ihre Magie aussandte, um seine Lebensenergie zu ertasten, erkannte schlagartig, dass er zwar überlebt hatte, jedoch nicht unverletzt geblieben war. Seine Regungslosigkeit war die eines Mannes, der wusste, dass die nächste Bewegung mit unerträglichen Schmerzen verbunden sein würde. Zögerlich machte sie einen Schritt auf ihn zu.
    Im nächsten Moment stürmten Männer über den Bahnsteig, bildeten einen Halbkreis um Vladimer und den sterbenden Meuchelmörder und riefen einander Befehle zu, die allerdings niemand befolgte. Als Telmaine an ihrer Seite plötzlich die Stimme einer Frau vernahm, erschrak sie dermaßen, dass sie einen scharfen Ultraschallimpuls ausstieß, der die Frau sogleich zurückzucken ließ. Sie war eine der weiblichen Stewards – eine umstrittene Neuerung, um der wachsenden Zahl abenteuerlustiger Damen gerecht zu werden, die gern gemeinsam oder sogar allein mit der Bahn verreisten. Die Frau musste ihre Fragen allesamt wiederholen, bevor Telmaine, deren Gehör von der Schießerei noch stark beeinträchtigt war, sie überhaupt verstehen konnte. Mochte die Dame sich im Warteraum vielleicht ein wenig ausruhen? Benötigte die Dame womöglich einen Arzt? Sollte die Dame abgeholt werden?
    Um zu erklären, warum sie nicht von hier weggehen konnte, deutete sie mit ihrer behandschuhten Hand vage in jene Richtung, aus der Vladimers Stimme kam. In einem recht bissigen Tonfall erteilte er Befehle: »Nur mein Arm, also hören

Weitere Kostenlose Bücher