Lichthaus Kaltgestellt
er aus und ging wortlos um das Wrack herum. Er fühlte sich völlig hohl, als Claudia zu ihm trat und den Arm um ihn legte.
»Komm Hannes, wir werden schon einen Neuen finden.«
»Das ist doch alles Scheiße. Seit Tagen sitze ich auf einer Rutsche, und es geht nur nach unten. Erst der Ärger mit Marx, dann Eva Schneider und die Brandleiche. Kaum etwas kommt voran, und für euch habe ich seit dem Urlaub kaum mehr Zeit. Du fährst allein nach Holland, und jetzt auch noch das hier.«
»Vielleicht bist du ja unten angekommen und es geht wieder aufwärts«, versuchte Claudia ihm Mut zu machen. Sie konnte nicht wissen, dass er noch lange nicht am Tiefpunkt angekommen war.
*
Ein Mechaniker erklärte ihnen fachmännisch, was sie ohnehin schon wussten. Der Golf war hinüber. Er bot an, den Wagen auszuschlachten und den Erlös der Teile auf ein neues Fahrzeug anzurechnen. Lichthaus nickte nur, ließ sich aber nicht zur Besichtigung anderer Gebrauchtfahrzeuge bewegen. Er wollte nur nach Hause. Nach mehreren Versuchen, ihn umzustimmen, gab der Mann auf und sie konnten endlich losfahren.
Die Sonne hatte es nach dem kurzen Gastspiel am Nachmittag nun wieder vorgezogen, hinter Wolken zu verschwinden, es war unangenehm schwül geworden. Das verbesserte Lichthaus’ Laune nicht. Als er durch seine Haustür trat, fühlte er sich seit langem wieder einmal wie der Wanderer zwischen den Welten, ein Gefühl, das ihn immer dann beschlich, wenn er komplizierte, extrem von Gewalt und Rohheit geprägte Fälle aufklären musste. Seine Arbeit – ein Kosmos, in dem Mord und Totschlag regierten, bevölkert von Kriminellen und Sadisten, dunkel und unerfreulich. Und auf der anderen Seite sein Zuhause, voller Liebe und Geborgenheit. Er hatte diesen Gegensatz in der Vergangenheit schon so deutlich erlebt, dass er glaubte, die Sonne und alle Farben zu Hause intensiver wahrnehmen zu können als im Büro. Der Übergang fand immer an der Schwelle zum Präsidium oder der Haustür statt und beeinflusste sein Denken und Handeln. In der Gruppe der Kollegen war er oft unnachgiebig, geradezu hart. Zu Hause hingegen war er weich und kompromissbereit. Er wich des Öfteren einer manchmal wohl notwendigen Auseinandersetzung mit Claudia aus, um den Frieden, den er so dringend brauchte, nicht zu gefährden.
Auch heute funktionierte der Übergang. Während sie die Einkäufe auspackten und das Abendessen vorbereiteten, einigten sie sich darauf, erst nach Claudias Rückkehr aus dem Urlaub einen neuen Wagen zu suchen. Teuer durfte er nicht sein, denn Hauskauf und Umbau hatte sie finanziell ordentlich belastet. Lichthaus entspannte sich. Ritualisierte Handlungen wie Tischdecken oder Rasenmähen waren dabei sehr hilfreich, wenn er ohne ständiges Nachdenken vor sich hinarbeiten konnte.
Später legte er sich mit Henriette auf den kühlen Steinboden im Wohnzimmer und spielte mit ihr. Obwohl sie mit fünf Wochen noch nicht völlig scharf sehen konnte, reagierte sie stark auf Farben und Bewegung. Er hatte sich Scherers bunte Rassel genommen und wedelte zu ihrem größten Vergnügen vor ihrem Gesicht hin und her. Es war faszinierend zu sehen, wie sehr sie das Spiel aufregte. Beinchen und Arme gingen wild hin und her, und sie grunzte heftig atmend vor sich hin. Als sie genug hatte und anfing zu weinen, nahm er sie auf den Arm und wanderte ins Atelier.
Claudia hatte die Zeit genutzt und ihre Malutensilien für die Reise zusammengesucht: eine klappbare Staffelei, mehrere Rollen Leinwand und einen Kasten mit Farben und Pinseln. Lichthaus setzte sich auf das Sofa und sah zu, wie sie alles in einen Koffer packte, und ließ sich von ihrem Tag erzählen. Möbius hatte ein Bild so gut wie verkauft und Interessenten für zwei weitere an der Hand. Da Claudia bereits einen guten Namen hatte, waren die Preise ganz ordentlich. Außerdem war jeder Verkauf für sie aufs Neue die Bestätigung ihrer Arbeit.
Am kommenden Tag würde sie zu ihren Eltern fahren, um einige Sachen für die Reise abzugeben. Für die Woche am Meer hatte sie sich von Freunden einen kleinen Korb ausgeliehen, in dem Henriette schlafen sollte, da der Stubenwagen zu sperrig zum Mitnehmen war. Für morgen Abend hatten sich Nils und Petra, ein kinderloses Paar, angemeldet, um Henriette erstmals zu sehen. Lichthaus machte ihr wenig Hoffnung, dass er abends pünktlich zu Hause sein würde, wenn ihre Gäste kämen.
Nach einem gemütlichen Abendessen badeten sie gemeinsam ihre Tochter, doch schon als Claudia das Baby
Weitere Kostenlose Bücher