Lichthaus Kaltgestellt
Schneider. Er saß in seinem Rollstuhl und hatte alles mit angehört. Nach vorne gelehnt, den Mund halb offen wie in einem stummen Schrei, liefen ihm die Tränen über die fahle Haut. Auch Marianne Schneider nahm ihren Mann wahr und drängte die Polizisten zum Ausgang. Grußlos fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss, die Sonne schlug ihnen ins Gesicht.
Er seufzte. »Wir können ihr nur helfen, wenn wir den Täter fassen. Also los!«
Sophie Erdmann nickte entschlossen.
*
Lichthaus fand Güttler im Obduktionssaal. Der Raum lag im Souterrain des Brüderkrankenhauses und war so weit herunterklimatisiert, dass er sofort seine Jacke anzog. Durch die Milchglasfenster drang schummriges Licht herein. Hier unten war ein Sektionsraum eingerichtet worden, den Güttler bei Bedarf nutzte. Eigentlich nur ein Provisorium, doch immer noch besser, als die Toten jeweils nach Homburg in die Rechtsmedizin fahren zu müssen. Güttler stand am Waschbecken und wusch sich nach getaner Arbeit die Hände. Die Obduktion war abgeschlossen, Eva Schneiders Leichnam war bereits mit einem Tuch abgedeckt. Langsam trat Lichthaus an den Tisch und zog es zurück. Der Anblick traf ihn wieder einmal wie eine Keule. Von der strahlenden Attraktivität des Mädchens war nichts übrig geblieben. Güttler hatte den typischen Y-Schnitt angebracht, um die Obduktion der Organe vornehmen zu können. Zum Schluss hatte er den Körper wieder zugenäht – sehr akkurat mit extrem kleinen Stichen. Auch einem Leichnam gebühre Respekt, hatte er einmal gesagt, und sei es nur in Form einer ordentlichen Naht.
Im krassen Gegensatz zu Güttlers pietätvollem Umgang mit Evas Leiche stand die offensichtliche Schändung ihres Körpers zu Lebzeiten. Eine Topographie des Leidens. Hämatome überall, Abschürfungen an den Handgelenken, die gebrochene Hand und unzählige Brandblasen waren zu sehen. Außerdem oberflächliche Schnitte, die wie kryptische Muster vom Bauch bis zur Scham verliefen. Die Haare waren verfilzt und das Gesicht verschwollen. An den Brüsten gab es rot unterlaufene Stellen, wie von Quetschungen, und einige Bisswunden. Zeugnisse von Schmerzen, die er nicht ermessen konnte. Sein Blick blieb an den dunklen Rändern am Hals der Toten hängen. Er schaute Güttler fragend an.
»Was ist hiermit?«
»Erwürgt. Ist auch die Todesursache. Der Täter scheint sich damit auszukennen. Er hat sie von hinten stranguliert und dabei den Kehlkopf eingedrückt. Den Würgemalen zufolge hat er mehrmals neu angesetzt. Dann geschieht es langsamer, um die Qual zu erhöhen.«
»Dieses Schwein! – Fass mal bitte zusammen.«
»Es gibt interessante Neuigkeiten. Komm, wir gehen in mein Büro, da liegt auch der Bericht.«
Das machte Lichthaus neugierig. Güttler war kein Typ, der zur Euphorie neigte. Er schien also etwas Aufschlussreiches gefunden zu haben.
Das kleine Büro des Rechtsmediziners lag unmittelbar neben dem Obduktionssaal und war mit Schreibtisch und Schrank eigentlich bereits vollgestellt: Aber auf dem begrenzten Raum zwischen Wand und Tür hatte er noch Platz für einen riesigen Kühlschrank und eine Kaffeemaschine gefunden.
Lichthaus nahm auf einem Hocker Platz und trank langsam den angebotenen Kaffee, während der Drucker den Bericht ausspuckte.
»Also, die Neuigkeit. Wir haben Sperma gefunden.«
Lichthaus ballte die Faust. »Ja!« Sie hatten eine Spur.
»Er hat sie brutal vergewaltigt. Vaginal, anal und auch oral. Hierbei hat er offensichtlich keine Vorsicht walten lassen, denn es war kein Problem, Spermien zu isolieren. Die DNA-Analyse läuft schon.« Er lächelte zufrieden und schwieg.
»Konntet ihr noch was feststellen?«
Güttler stellte seinen Kaffee ab und griff nach dem Bericht. »Gut, die Vergewaltigungen scheinen wie gesagt brutal abgelaufen zu sein. Die Scheide wurde massiv verletzt. Wir konnten am Körper vierundsechzig Hämatome zählen. Über diese typischen Verletzungen hinaus wurde sie mehrfach schwer geschlagen, aber das hast du ja gesehen. Außerdem wurde sie mit Fremdgegenständen penetriert.« Er schaute angewidert zu Lichthaus auf. »Dieses Monster!«
Dann rührte er nachdenklich in seiner Tasse. »Schwarz wie der Tod. Entschuldige.«
»Du sagtest, sie ist in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch gestorben. Er hat sie also etwa drei Tage gefangen gehalten. Was noch?«
»Die letzten Verwundungen, die ihr lebend beigefügt wurden, stammen von«, er zögerte kurz, »reiner Folter. Ja, eigentlich muss man von Folter sprechen. Ihr wurden
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