Lichthaus Kaltgestellt
hin. Angst vor der Mutter, die ihn strafen könnte. Das ist natürlich irrational, wir können uns das kaum vorstellen, für ihn existiert sie fort, auch wenn sie längst verstorben ist. Wir hatten mal einen Fall, da verhielt sich ein Täter ähnlich. Seine Mutter war ultrakatholisch und tief in seinem Unterbewusstsein regte sich nach der Tat immer die Furcht vor Sünde und Hölle. Eigentlich untypisch für Sadisten. Was andererseits jedoch für einen sadistisch motivierten Täter spricht, ist die geplante Tatausführung.«
»Wie entwickeln sich solche Täter?« Lichthaus war von von Falkbergs Ausführungen fasziniert.
Dieser goss sich Kaffee nach. Draußen auf dem Gang rumorten ein paar Studenten, doch er ließ sich nicht ablenken und fuhr fort. »Sadisten haben meistens Hirnschäden. Dazu kommen dann noch Schlüsselreize, basierend auf prägenden Erlebnissen in der Kindheit. Irgendwann wird dieser Schlüsselreiz dann so groß, dass die Person das Erlebnis noch einmal erleben möchte. Nehmen wir ein Beispiel. 1988 wurde Bruno Achtern in Hannover zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Er hatte vier Frauen vergewaltigt, brutal getötet, zerstückelt und sich später mehrmals an den Leichenteilen befriedigt. Er hat die klassische Vita eines Sadisten. In seinem Gehirn wurde ein deformierter rechtsseitiger Temporallappen festgestellt, der Folge eines frühkindlichen Traumas war. Eine solche Anomalie findet sich übrigens bei vielen Sexualtätern. Das für seine Entwicklung prägende Erlebnis war die Schlachtung eines Tiers. Er lebte das Gesehene nach und tötete als Heranwachsender kleine Tiere und empfand diese Taten unbewusst als sexuelle Stimuli. Der Übergang zur gestörten Sexualität begann, als er bei seinen ersten Kontakten mit Frauen nur frustrierende Erfahrungen machte. Er wurde sich seiner Abartigkeit bewusst und ekelte sich einerseits vor seinen Gewaltphantasien und seinen brutalen Tierquälereien, um auf der anderen Seite hierbei enorme Lust zu verspüren. Am Ende dieser Phase war er sozial völlig abgekapselt und lebte in einer Welt aus Omnipotenzphantasien. Ich denke, dass Sie das so ähnlich bei Ihrem Täter auch finden werden. Starke Isolation und in diesem Fall narzisstische Selbstüberschätzung. Dieses Ritterspiel, das Sie mir heute Morgen schilderten, passt vollständig in das Bild.«
»Sie glauben, der Rote Ritter ist der Täter?« Lichthaus sah von Falkberg intensiv an.
»Dafür fehlt zwar aktuell noch jeder Beleg, doch es spricht einiges dafür. Jetzt zu Ihrer Frage, wieso ich von einem Serienmörder ausgehe. Es gibt bei allen sadistischen Tätern diesen Moment, wo sie ihre Phantasien endlich in die Tat umsetzen müssen, so auch bei Achtern. Wir nennen das narzisstisches Streben nach Autarkie, also sich quasi selbst in der Tat zu erleben. Er beobachtete gezielt potenzielle Opfer und griff sie an, nachdem er einen optimalen Tatort festgelegt hatte. Er steigerte seine Grausamkeit nach und nach, probierte dies, probierte das. Eine Frau vergewaltigte er, eine andere schlug er derart zusammen, dass sie wochenlang im Krankenhaus lag. Seine Tötungsziele setzte er nie um, da Phantasie und Wirklichkeit noch zu weit voneinander entfernt waren. Dazu brauchte es einige Jahre. So scheint es auch beim Mörder von Eva Schneider gewesen zu sein. Er hat damals im Rheingau seine Probierphase erlebt, indem er die Frauen vergewaltigte und misshandelte. Mittlerweile hat er wenigstens einen Mord umgesetzt. Erfahrungsgemäß bleibt es nicht bei nur einer Tat. Ich schätze, dass es schon mehr waren. Im Durchschnitt dauert es nach der ersten vollendeten Tötung zweieinhalb Jahre bis zur Wiederholung. In diesem Zeitraum grübeln die Täter über sich selbst und schwanken zwischen Ekel und erotischem Nacherleben hin und her.«
»Wie sehen Sie also unseren Fall? Und wo steht Ihrer Meinung nach unser Täter?« Sophie Erdmanns Gesicht wirkte angespannt.
»Er ist in der Wiederholungsphase. Seit der Vergewaltigungsserie hatten wir einige Jahre Pause bis zum Mord an Eva Schneider, allerdings sind bereits in den letzten beiden Jahren zwei Frauen verschwunden, vielleicht waren das schon seine ersten Opfer …«
»In Luxemburg wurden in dieser Zeit vier Frauen als vermisst gemeldet«, warf Lichthaus ein. Sophie Erdmann starrte ihn an. »Da wir noch keine Verbindung zwischen diesen Fällen herstellen können«, erklärte er schnell, »halten wir diese Infos unter Verschluss. Auch in der
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