Lichthaus Kaltgestellt
Otten zuckte nur mit den Schultern und winkte noch im Davongehen. Lichthaus folgte ihr steifbeinig bis zu Steinrausch und Sophie Erdmann, den Trümmern seines Teams. Sie unterhielten sich noch eine Weile gedämpft, tranken ein Bier und versuchten, sich neu zu sortieren. Doch das wollte nicht gelingen.
*
Zu Hause in Eitelsbach schaute er dumpf den Lichtern des Streifenwagens hinterher, der langsam in Richtung Ruwer fuhr. Nichts rührte sich, nur ein lauer Wind wehte durch die sternenlose Nacht. Unschlüssig stand er vor der Tür und blickte die Straße entlang. Er hatte Angst vor den Bildern. Oben im Schlafzimmer würden sie aus der Dunkelheit kriechen und sein Bewusstsein füllen. Das weiße Gesicht, die heraushängende Zunge, der Täter. Bis zur Schmerzgrenze würde er sich herumwälzen, das Licht anmachen, doch die Bilder würden wiederkommen, sobald er die Augen schloss. Er würde das Stöhnen hören, das nichts, keine Ohrstopfen, keine Musik, zum Verstummen bringen könnte. Würde seinen Fehler suchen. Immer wieder. Und wenn er dann einschliefe, käme ihm alles im Traum hinterher. Von keinem Abwehrmechanismus gefiltert würde der Schrecken auftauchen, groß und schwer wie ein Riesenkrake und zäh wie Teer an ihm kleben, ihn verfolgen und erst in vielen Tagen Ruhe geben. Und da war keine Claudia, die ihn an sich drücken, die mit ihm reden, ihn trösten könnte. Er musste allein kämpfen. Gegen die Bilder. Und morgen gegen Müller.
Langsam ging er die Straße entlang. Gleich hinter der Gabelung links stand ein Mehrfamilienhaus aus den siebziger Jahren. Schmucklos. Hier wohnte Otto. Sein Weingut lag zwar an der Straße nach Mertesdorf, fast schon aus dem Ort heraus, doch vor vielen Jahren hatte er Platz gemacht für seinen Sohn Werner und dessen Frau mit den damals noch kleinen Kindern. Zusammen mit seiner Erika war er in die Parterrewohnung des neuen Hauses gezogen, das er selbst gebaut hatte. Sie war vor fünf Jahren gestorben. Eines Morgens hatte sie tot im Bett gelegen. Einfach so.
Schön für sie, sagte Otto immer, aber schlimm für mich. Kein Abschied, nichts. Seitdem schlief er schlecht, und so auch in dieser Nacht. Als Lichthaus näher kam, sah er zwischen den Ritzen der Rollläden Licht schimmern. Er zögerte einen Moment, dachte erschaudernd an sein leeres Haus und klingelte. Otto war sofort an der Tür und öffnete, ohne die Gegensprechanlage zu nutzen.
»Was ist los?« Er sah ihn mit angstweiten Augen an. »Claudia oder die Kleine?«
»Nein, keine von beiden.« Er musste einen erbärmlichen Anblick darbieten, um den Alten so zu erschrecken.
»Dann kann es nicht so schlimm sein, wie du aussiehst.« Er atmete hörbar erleichtert aus.
Otto trug einen alten Schlafanzug aus Baumwolle. Blau gestreift und etwas verwaschen hing er zu kurz an seiner stämmigen Figur und ließ einen Blick auf seine weißen, geäderten Unterschenkel frei, die im krassen Gegensatz zu seinem braunen Gesicht standen. Die Wohnung zeugte von Ottos Leben. Viel Arbeit und wenig Ruhe. Sie wirkte funktionell, nur den Bedürfnissen angepasst. Die wenigen Bilder an den Wänden waren wahllos zusammengestellte Farbdrucke großer Meister. Anders als bei manchen alten Leuten, roch seine Wohnung nie ungelüftet und muffig. Otto achtete peinlich genau auf absolute Sauberkeit und wurde hierbei von einer Zugehfrau unterstützt, die zweimal in der Woche kam. Trotzdem, der einzige Raum, den Lichthaus gemütlich finden konnte, war die uralte Einbauküche aus den frühen sechziger Jahren, reif für das Heimatmuseum, stünde hier nicht ein neuer Flachbildfernseher. Es gab indirektes Licht und eine Eckbank mit altmodisch gemustertem Polster, auf die Lichthaus sich schwerfällig setzte.
Wortlos griff Otto in den Kühlschrank, holte eine Schnapsflasche heraus und goss ein. Sie tranken ihn schnell, und eine wohlige Wärme breitete sich in Lichthaus’ Körper aus. Otto brannte heimlich, ohne Lizenz den besten Zwetschgenschnaps, den Lichthaus jemals probiert hatte. Er hustete wie immer von dem leichten Brennen in der Kehle.
»Was ist denn los? Erzähl.« Der Alte setzte sich zu ihm auf die Eckbank und schenkte nach.
Lichthaus zögerte, nur das Ticken der Wanduhr war zu hören. Irgendwann begann er zu sprechen, stockend, dann immer flüssiger, der Anfang mit Marianne Schneider bis zu den Grauen des Abends, suchte auch nach Gründen für das Desaster und Entschuldigungen für sich. Als er geendet hatte, schaute er vor sich auf den Tisch und fühlte
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