Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
vorbehält«, sagte Merriman. Jane fand, dass seine Stimme angespannt klang, aber sein Gesicht war so dicht unter der Decke des engen Treppenflurs, dass es sich ganz im Schatten verlor. »Für gewöhnlich werden keine Feriengäste in der Nähe geduldet. Und von den Einheimischen dürfen nur Frauen zugegen sein.«
»Wie gemein«, sagte Simon empört.
Jane sagte: »Müssen wir nicht etwas wegen des Grals unternehmen, Gumerry? Ich meine, dazu sind wir schließlich gekommen. Und wir haben nicht viel Zeit.«
»Geduld«, sagte Merriman. »Wie ihr euch erinnern werdet, brauchtet ihr in Trewissick nie etwas dazuzutun, damit etwas passierte. Es passierte ganz von selbst.«
»In dem Fall«, sagte Barney, »gehe ich ein bisschen nach draußen.« Er drückte das dünne Heft in seiner Hand unauffällig an sich, aber der Blick seines Großonkels fiel wie von der Höhe eines Leuchtturms auf ihn herunter.
»Zeichnen?«
»Hm«, sagte Barney zögernd. Die Mutter der Drews war Künstlerin. Barney hatte sich immer dagegen gewehrt, wenn davon die Rede war, er könnte ihr Talent geerbt haben. Aber in den letzten zwölf Monaten hatte er selber mit Schrecken bemerkt, wie es in ihm erwachte.
»Versuch, den Abhang hier von der anderen Seite aus zu zeichnen«, sagte Merriman. »Auch die Boote.«
»Gut. Aber warum?«
»Oh, ich weiß nicht«, sagte sein Großonkel leichthin. »Es könnte sich als nützlich erweisen. Vielleicht als Geschenk für jemanden. Vielleicht sogar für mich.«
Als Barney den Kai überquerte, kam er an einem Mann vorbei, der hinter einer Staffelei saß. Dies war in Trewissick kein ungewöhnlicher Anblick, denn das Dorf war wie viele der malerischen Dörfer in Cornwall bei Amateurkünstlern sehr beliebt. Dieser besondere Maler war breitschultrig und kräftig gebaut und hatte einen dichten dunklen, zerzausten Haarschopf. Barney blieb stehen und schaute ihm über die Schulter. Er blinzelte. Auf der Staffelei stand ein wildes abstraktes Gemälde in schreienden Farben, das keinen sichtlichen Bezug zu der Hafenszene vor ihnen erkennen ließ; es war ungewöhnlich, verglichen mit den netten, blutleeren kleinen Aquarellen, die neunzehn von zwanzig der Hafenmaler von Trewissick produzierten. Der Mann malte wie besessen drauflos. Ohne aufzuhören oder sich umzudrehen, sagte er: »Geh weg.«
Barney zögerte einen Augenblick. Das Gemälde hatte wirkliche Kraft, eine seltsame Kraft, die ihm Unbehagen verursachte.
»Geh weg«, sagte der Mann jetzt lauter.
»Ich geh ja schon«, sagte Barney und trat einen Schritt zurück. »Warum aber oben in der Ecke grün? Warum nicht blau? Oder ein
besseres
Grün?« Er war beunruhigt von einer hervorstechenden Zickzacklinie in einem besonders hässlichen Farbton, einem gelblichen senfartigen Grün, das das Auge vom Rest des Bildes ablenkte. Der Mann fing an zu knurren wie ein bösartiger Hund und seine breiten Schultern reckten sich. Barney floh. Trotzig sagte er zu sich selbst: »Aber diese Farbe war
ganz falsch.«
Auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens setzte er sich auf eine niedrige Mauer, den zerklüfteten Fels der Landzunge im Rücken. Von hier aus war der bösartige Maler nicht zu sehen, er war hinter einem der unvermeidlichen Stapel von Fischkisten auf dem Kai verborgen. Barney spitzte mit seinem Taschenmesser einen neuen Bleistift an und begann zu kritzeln. Die Skizze eines einzelnen Fischerbootes gelang nicht, aber ein grober Umriss des ganzen Hafens begann, ganz gut herauszukommen. Barney wechselte den Bleistift gegen eine altmodische, weiche Füllfeder aus, die er besonders gern mochte. Er arbeitete jetzt schnell und mit Freude, vertieft in die Einzelheiten, und spürte — und das war ihm ganz neu und erst in diesem Frühjahr so —, wie etwas von seinem Selbst sich durch seine Finger den Weg nach außen bahnte. Es war wie ein Zauber. Er machte eine Pause, um Luft zu schöpfen, und hielt die Zeichnung um Armeslänge von sich.
Lautlos tauchte von der Seite eine große Hand in einem dunklen Ärmel auf und ergriff den Skizzenblock. Noch bevor Barney den Kopf wenden konnte, hörte er, wie Papier abgerissen wurde. Dann flog der Skizzenblock ihm vor die Füße, wo er sich auf dem Boden überschlug. Schritte rannten davon. Mit einem Wutschrei sprang Barney auf und sah, wie ein Mann den Kai entlang davonrannte; das Blatt aus dem Skizzenblock flatterte weiß gegen seine dunklen Kleider. Es war der langhaarige, mürrische Maler, den er auf dem Kai gesehen hatte.
»He!«,
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