Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
Schritt sie atemlos auf die Spitze der höchsten Düne brachte und die Welt vor ihr sich ausbreitete in einer weiten Fläche aus braunem Sand und grauem Meer, deren Horizont sich in Nebel auflöste, wo die Ausläufer der Cardigan Bay Meer und Himmel umarmten.
Etwas lag vor ihren Füßen auf dem Kamm der Düne. Jane sah genauer hin und stellte fest, dass es ein kleines braunes Kaninchen war. Seine Augen waren offen und starr; es war tot. Als sie sich hinunterbeugte, sah sie entsetzt, dass sein Bauch aufgerissen und die Eingeweide herausgeholt worden waren, bevor der Rest des pelzigen Körpers achtlos zur Seite geworfen worden war.
Jane ging die Düne in langen, gleitenden Schritten hinunter, langsamer jetzt, und fragte sich zum ersten Mal, was sie erwarten würde, wenn die Sonne aufging.
Sie überquerte den trockenen Sand über der Hochwasserlinie, der zertreten war von den Fußspuren der Urlauber von gestern und denen ihrer Hunde. Sich plötzlich schutzlos fühlend, ging sie weiter, hinaus auf die ausgedehnte Sandfläche, die die Mündung des Dyfi bei Ebbe bedeckt und sich in beide Richtungen auf zehn Meilen und weiter entlang der Küste erstreckt. Vor ihr war nichts außer dem grauen Meer, dem Himmel und der langen Linie der leise tosenden Brandung. Durch die Sohlen ihrer Sandalen spürte sie das harte Kräuselmuster, das die Wellen auf dem Sand zurückgelassen hatten.
Scharen von schlafenden Möwen erhoben sich träge, als sie an den glatten, nassen Sand näher am Wasser kam. Strandläufer stießen pfeifend herab. Wo immer die hinausgehende Flut Seetang zurückgelassen hatte, sprangen tausende von Strandhüpfern geschäftig herum, eine merkwürdige, unruhige Wolke von Bewegung in all der Stille. Der Beweis einer anderen Unruhe war schon auf den harten Sand geschrieben: Aushöhlungen und Krallenabdrücke und leere, zerbrochene Muschelschalen, wo bei Morgendämmerung hungrige Silbermöwen nach jedem Weichtier geschnappt hatten, das sich den Bruchteil einer Sekunde zu spät eingegraben hatte. Hier und dort lagen riesige, gestrandete Quallen, aus deren fast durchsichtigem Fleisch die gierigen Schnäbel der Silbermöwen große Fetzen gehackt hatten. Draußen über dem Meer flogen die Vögel friedlich und ruhig vor der Küste entlang. Jane fröstelte wieder.
Sie wandte sich nach links, auf die große vorspringende Sandbank zu, wo der Dyfi in das Meer mündete. Eine dünne Wasserschicht breitete sich rasch vor ihren Füßen aus; die Flut kam herein und überspülte auf den langen, flachen Stränden in jeder Minute über einen Fußbreit mehr Sand. Am Rand der Mündung blieb Jane stehen, allein und weit draußen auf dem weiten Strand; sie fühlte sich klein wie eine Muschel unter dem leeren Himmel. Sie blickte zum Land zurück, auf das Dorf Aberdyfi, das am Fluss lag, an beiden Seiten von Bergen umgeben, und sie sah, dass der Himmel über dem Gewirr von grauen Schieferdächern rosa und blau war, mit einer Anhäufung von rötlichen Wolken. Und dann ging hinter Aberdyfi die Sonne auf.
In einem grellen gelbweißen Licht stieg die glühende Kugel hinter dem Land auf und Jane drehte sich hastig wieder um, zurück zum Meer. Alles Grau war verschwunden. Jetzt war das Wasser plötzlich blau, die gekräuselten Wellenkämme strahlten leuchtend weiß, die Möwen schimmerten weiß in den Lüften und in einer langen Linie auf der goldenen Sandbank in der Mündung des Flusses, wo sie noch schliefen und vorher nicht einmal zu sehen gewesen waren. Ihr eigener Schatten lag lang und dünn vor Jane auf dem Sand und reichte bis ans Meer. Jede Muschel hatte jetzt ihren eigenen dunklen, deutlichen Schatten, jeder Strandhaferhalm, sogar die Kräusel im Sand. Nur die Berge an der anderen Seite der Mündung waren dunkel und unscharf und verschwanden in den Wolken; zu ihren Füßen verhüllte ein langer weißer Nebelstreifen den Fluss. Oben am blauen Himmel bewegten sich hohe Wolkenbänke rasch aufs Landesinnere zu, eine nach der anderen, aber der Wind, den Jane kalt an ihrem Gesicht spürte, wehte vom Land auf das Meer.
Jetzt im Sonnenlicht sah Jane deutlich die kleinen Hieroglyphen, die die Füße von Vögeln rund um sie in den Sand geschrieben hatten: die Pfeilspitzen gleichenden Abdrücke der Möwen, das Getrippel von Uferläufern und Steinwälzern. Eine auf dem Rücken schwarz gefiederte Möwe kreiste über Jane, ihr schriller, jodelnder Schrei ging im Wind unter, ein langes Lachen, das in einem heiseren Krächzen endete. Ein hohes
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