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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Geräusch eines Flugzeugs, das die Sterne streift.

    Arnaud verbrachte denselben Abend im Atelier eines Freundes in der Nähe des Chelsea-Hotels. Als er aufbrach, war Mitternacht vorbei. Er ging Richtung Osten. Sie hatten sich stundenlang unterhalten, die Art von Abend, die er am liebsten hatte, vertrauliche, lebendige Gespräche, die endlos dahinfließen und einen nie erschöpfen. Er war wie eine Figur aus einem Roman von Dickens; er aß, er trank, er hielt seinen kleinen Finger hoch, um anzuzeigen, wie wenig talentiert jemand war, er trieb im Strom der Großstadt. Sein Mantelkragen war hochgeschlagen. Niemand war auf der Straße, die Geschäfte hinter ihren Stahlgittern waren dunkel.
    Der Verkehr kam in Schüben die Straße herauf. Die Scheinwerfer der Autos strahlten auf und verschwanden wieder in der bedrohlichen Stille über dem an vielen Stellen aufgebrochenen Asphalt. Er hielt nach einem Taxi Ausschau, aber zu dieser Stunde hatten sie alle ihr Schild auf OFF DUTY gestellt. Die Ecke an der Kreuzung war eisig, der Ausblick in alle vier Richtungen trostlos. Er lief einen Häuserblock weiter. Eine Cafeteria, das letzte erleuchtete Fenster, schloß gerade. Eine Welle von Autos fuhr vorbei, die meisten zerbeult, darin einsame Männer, Autos der Arbeiterklasse mit hochgekur-belten Fenstern.
    Ein Motorrad kam langsam um die Ecke. Der Fahrer war schwarz gekleidet, Plexiglas verdeckte sein Gesicht. Ein Taxi kam, Arnaud winkte, es fuhr vorbei.
    Der Motorradfahrer hatte ein Stückchen weiter vorne angehalten, der Motor lief, er sah hinunter auf die Räder. Er hatte kein Gesicht, man sah nur die gewölbte, glänzende Scheibe. Arnaud trat ein paar Schritte weit auf die Straße. Er konnte die Lichter von Midtown sehen, die hohen Gebäude. Der Motorradfahrer war abgestiegen und versuchte sich an den Türen von ein paar Mietshäusern, er zerrte an den Türgriffen. Er ging von einem zum anderen, sah in leere Geschäfte, die Hände flach an die Scheibe gedrückt. Arnaud ging wieder weiter.
    In den West Forties standen geschminkte junge Männer an den Straßenecken, noch auf Kunden wartend. Männer mit schmutzigen Händen saßen zusammengesackt in Türein-gängen, ihre betrunkenen Gesichter von der Kälte rotgebrannt. Die Taxis, die über die Avenue fegten, fielen fast auseinander, die Kotflügel klapperten, Abfall lag auf dem Boden. Er begann sich die Ohren mit den Händen zu wärmen. Er konnte nicht zu Fuß nach Hause gehen; er wohnte in der Achtundsechzigsten Straße. Er schaute sich nach dem entfernten Verkehr um, es schien, als kämen immer weniger Autos vorbei. Der Ton von allem hatte sich verändert, als hätte er zu lange der Stille gelauscht. Seine Gedanken, in die er sich wie in seinen Mantel eingewickelt hatte, trieben plötzlich hinaus, erfaßten mehr: die dunklen fleckigen Gebäude, die kalten Legenden des Handels, die überall plakatiert waren. Er dachte daran, ins Chelsea zu gehen; es lag nur drei Straßen weiter. Zwei Männer kamen um die Ecke und gingen langsam auf ihn zu, einer tänzelte, halb in die Türeingänge tretend, hin und her.
    »He, wie spät ist es?« fragte einer von ihnen. Es waren Schwarze.
    »Halb eins«, sagte Arnaud.
    »Wo ist deine Uhr?«
    Arnaud antwortete nicht. Sie waren stehengeblieben, der Rhythmus ihrer Schritte veränderte sich, sie stellten sich ihm in den Weg.
    »Woher weißt du die Uhrzeit, wenn du keine hast? Bist du unfreundlich, Mann?«
    Arnauds Herz schlug schneller. »Ich bin niemals unfreundlich«, sagte er.
    »Wohl bei deiner Freundin gewesen? Was ist los, kommst dir wohl zu fein vor, um mit uns zu reden?« Ihre Gesichter waren kaum auseinanderzuhalten, sie glänzten. »Ja, piekfein. Hat 'nen Hundertfünfzig-Dollar-Mantel an, also geht's ihm bestens.«
    Arnaud fühlte, wie alle Kraft von ihm wich, die Fähigkeit, sich zu bewegen, als träte er auf eine Bühne, ohne zu wissen, was er tun oder sagen sollte. Eine Gruppe von Autos näherte sich, sie waren fünf oder sechs Blocks entfernt. Er begann zu reden; als wollte er ihnen ein Geheimnis anvertrauen.
    »Hört mal, ich muß weg, aber ich möcht euch noch was sagen... «
    »Er muß weg«, sagte der eine zu dem anderen.
    »Da war also dieser taube Mann ... «
    »Was für 'n tauber Mann?«
    Die Autos kamen näher. »Der traf einen Freund auf der Straße... «
    »Jetzt zeig schon deine Uhr. Schluß mit der Spielerei.«
    »Ich will euch nur eine Frage stellen«, sagte Arnaud schnell.
    »Mach schon.«
    »Eine Frage, die nur ihr mir

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