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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Und wenn man das nicht lernt, ist alles andere sinnlos.«
    Die Nacht in der Stadt. Sie waren in der Bar El Faro, dicht gedrängt zwischen Leuten, die auf einen Tisch warteten. Der Lärm des überfüllten Restaurants schlug auf sie ein. Im Hintergrund wurden Kisten mit Lebensmitteln hereinge-schleppt, während Gäste, eingehüllt in Tabakqualm, sich über ihre Drinks hinweg laut unterhielten.
    »Man weiß nie, was Leuten alles passiert«, sagte Michael.
    »Ich habe eine Freundin«, sagte er. »Sehr witzig und sehr großzügig. Sie hätte Schauspielerin werden können.«
    »Morgan«, sagte Bill.
    »Sie müssen sie mal kennenlernen.«
    In dem Moment wurden sie an einen Tisch geführt. Der Kellner brachte die Karte.
    »Wir nehmen die Paella, oder?« fragte Michael. »Also gut.« Er bestellte. »Sie wohnt an der Fifth Avenue, genau gegenüber der Metropolitan Opera. Sie hat nach der Scheidung das Apartment bekommen. Ein phantastisches Apartment... « In dem kleinen Raum, in der Dunkelheit, an die sich die Augen erst gewöhnen mußten, wo man selbst ein Gesicht, nach dem man sucht, ein paar Tische entfernt übersehen konnte, entdeckte Viri plötzlich jemanden. Sein Herz stockte. Es war Kaya Doutreau.
    »Eines Abends kam sie aus dem Ballett zurück... «
    Er war tief erschrocken; er hatte Angst, daß sie ihn sehen könnte. Seine Frau sah überwältigend aus, er war in bester Gesellschaft, und doch schämte er sich seiner Existenz.
    »... Schwanensee. Du kannst sagen, was du willst, aber es gibt nichts Schöneres auf der Welt.«
    »So romantisch«, sagte Bill.
    »Als sie die Tür zu ihrem Apartment aufschloß, sah sie ihren Hund daliegen ... «
    Er hörte nicht zu, er nahm nur das Geklapper des Bestecks wahr, die Geräusche, mit denen alles unterlegt war, so als lauschte er dem Mechanismus, der alles in Gang hielt. Es war schrecklich für ihn, daß ihre Anwesenheit ihn so aus dem Gleichgewicht brachte, die einfachsten Dinge, deren sie sich gar nicht bewußt war - ihre Gelassenheit, die Art, wie sie dasaß, das Gewicht ihrer Brüste unter dem hellen, gerippten Pullover.
    »Also, sie wissen es nicht. Sie denken, daß jemand Gift unter der Tür durchgeschoben hat. Es war einfach schrecklich. Sie wußte nicht, was ihm fehlte. Sie trug ihn auf den Armen nach unten, er starb im Taxi.«
    »Viri, geht es dir gut?« fragte Nedra.
    »Ja. «
    »Bist du sicher?«
    »Ganz sicher.« Er lächelte kurz. Es schien, als hätte er vergessen, wie man aß, als wäre es eine Zeremonie, die er gerade erst erlernt hatte. Seine Aufmerksamkeit war auf seinen Teller gerichtet. Er versuchte, nicht über den Tisch hinauszusehen.
    »Ich meine, da ist nun eine der interessantesten, warmher-zigsten Personen überhaupt. Sie würde niemandem je etwas zuleide tun. Eine Wohnung voller Bücher. Die Menschen sind wirklich irre.«
    »Eine schreckliche Geschichte«, sagte Nedra.
    »Ich hoffe, ich hab Sie nicht beunruhigt.«
    »Es muß an der Jahreszeit liegen«, sagte Bill. »Februar ist immer so. Das einzige Mal, als ich in meinem Leben krank war, war im Februar. Ich lag sechs Wochen im Krankenhaus. Zwei Wochen lang auf der Abschußliste. Die Paella schmeckt ausgezeichnet.«
    »Was hatten Sie?«
    »Ach, eine schwere Infektion. Meine Familie hat sogar schon einen Sarg für mich gekauft. Er war nicht mal groß genug. Sie wollten nicht so viel Geld ausgeben. Sie hätten meine Beine geknickt.« Er lachte.
    »Viri, ist wirklich alles in Ordnung?«
    »Oh, ja. Ja.«
    Während des ganzen Essens fiel sein Auge immer wieder kurz auf sie. Es ließ sich nicht vermeiden. Sie lebte; es ging ihr gut. Plötzlich stand sie auf. Ihn überfiel eine ungeheure Panik, fast physische Angst. Dabei gingen sie nur. Als sie zwischen den Tischen hindurch an ihm vorbeikam, legte er die Hand an die Stirn, um sein Gesicht zu verdecken. Sie fuhren nach Hause. Es war ein kalte und klare Nacht. Die Apartmenthäuser, große verdunkelte Bienenstöcke, ragten über ihnen. Aus der Ferne war die Brücke eine Lichterkette.
    Jenseits des Flusses wurde die Straße leer. Der Mond stand darüber, der ganze Himmel war weiß. Im Auto roch es schwach nach Tabak, Parfum, wie in einem Zugabteil. Für jemanden, der in der Dunkelheit stände und zuschaute, wären sie im Nu vorbei gewesen, die strahlenden Scheinwerfer fluteten vor ihnen, ein kurzer Blick auf sie, mehr nicht. Das Geräusch erstirbt in der Kälte, dann ist sogar das ferne Rot der Rücklichter verschwunden. Stille. Über einem vielleicht das schwache

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