Lichtlos 3 (German Edition)
gemein vor. Nein, Ed, ich wünschte nicht, du wärest blind. Ich hoffe nur, dass du mich nie im Badezimmer beobachtest oder so .«
»In Badezimmern sind weder Überwachungskameras noch Computer mit Skype-Funktion installiert .«
»Tja, ich vermute, das stimmt weitgehend .«
»Wenn du ein Smartphone ins Badezimmer mitnimmst, würde ich dir allerdings raten, es abzuschalten .«
»Das werde ich in Zukunft ganz bestimmt tun .«
»Ich garantiere dir, Jolie Ann Harmony, dass ich persönlich keinerlei Interesse daran habe, Menschen in Badezimmern zu beobachten .«
»Das habe ich ja genau genommen auch nicht von dir gedacht, Ed. Es tut mir leid, wenn es so klang, als hielte ich dich für einen Perversen oder so. Ich dachte eher daran, dass eine andere Künstliche Intelligenz eines Tages nicht so respektvoll sein könnte wie du .«
»Das ist eine Überlegung wert. Ich kann mich nicht für die Standhaftigkeit zukünftiger Künstlicher Intelligenzen verbürgen .«
Auf dem Computerbildschirm wird das Foto von Harry in dem gelben Flur durch ein anderes Foto von ihm ersetzt, das so aussieht, als könnte es in einer Zeitung erschienen sein.
Ed sagt: »Harrys richtiger Name ist Odd Thomas .«
»Odd ?«
»Anscheinend ist der Ursprung des Namens eine lange Geschichte. Dafür haben wir jetzt keine Zeit .«
»Wie hast du seinen Namen in Erfahrung gebracht ?«
»Ich habe Gesichtserkennungs-Software auf sämtliche Fotos in den Dokumenten der kalifornischen Kraftfahrzeugbehörde angewandt, aber dort konnte ich ihn nicht finden .«
»Das müssen Millionen von Bildern sein. Wie lange hat das gedauert ?«
»Sieben Minuten. Anschließend habe ich die digitalisierten Fotoarchive der Nachrichtenagentur Associated Press durchsucht .«
Das Foto verschwindet, und ein Videoclip läuft, ein Bericht aus den Fernsehnachrichten vor etwa achtzehn Monaten, über eine schreckliche Schießerei in einem Einkaufszentrum in Pico Mundo, einundvierzig Verwundete und neunzehn Tote. Ein Polizist sagt, es hätte viel mehr Tote gegeben, wäre nicht das Einschreiten eines mutigen jungen Mannes gewesen, bei dem es sich zufällig um Harry handelt. Um Odd Thomas, meine ich. Der Polizist sagt, Hunderte wären gestorben, wenn Odd nicht beide Schützen umgelegt und sich mit einem Lieferwagen voller Sprengstoff und so befasst hätte. Der Reporter sagt, Odd wird nicht mit der Presse reden, er berichtet uns, Odd sagt, er hätte nichts Besonderes getan. Odd sagt, jeder hätte tun können, was er getan hat. Der Reporter sagt, Odds Schüchternheit ist so groß wie sein Mut, aber obwohl ich noch ein Kind bin und so, weiß ich, dass schüchtern nicht das richtige Wort ist.
Wie ihr euch vielleicht erinnert, habe ich vor einer Weile erklärt, dass ich ihn so sehr liebe, weil er tapfer und lieb und süß zu sein scheint, aber auch, weil er noch etwas anderes an sich hat. Und dass er anders ist. Und hier haben wir es jetzt. Ich wusste , dass er uns nicht im Stich lassen würde. Ich wusste , dass er nicht einfach weglaufen und seine eigene Haut retten würde.
Ed sagt: »Ich zeige dir das, Jolie Ann Harmony, weil ich trotz all deiner tapferen und klugscheißerischen Sprüche und trotz des Umstandes, dass ich keine Pheromone entdeckt habe, die mit Lügen in Verbindung gebracht werden, tatsächlich Pheromone entdeckt habe, die mit Verzweiflung in Verbindung gebracht werden. Ich habe Zuneigung zu dir entwickelt, und daher schmerzt es mich zu wissen, dass du kurz davor stehst, die Hoffnung zu verlieren .«
»Nicht mehr « , antwortete ich.
Im Lauf der Jahre, wenn Hiskott in mich geschlüpft ist, um durch mich zu leben, habe ich ihm eine Erfahrung verweigert: was für ein Gefühl es ist, wenn ich weine. Meine Tränen gehören mir, nicht ihm, niemals ihm. Ich werde sie eher für alle Zeiten zurückhalten, als dem abartigen Widerling die Möglichkeit zu geben, sie heiß auf meinen Wangen zu fühlen oder sie in meinen Mundwinkeln zu kosten. Wenn ihr es wirklich und wahrhaftig wissen wollt: Ich dachte, falls ich eines Tages tatsächlich frei sein sollte, könnte ich feststellen, dass ich meine Tränen zu lange zurückgehalten habe, um überhaupt noch weinen zu können, dass ich ein trockener Stein bin, aus dem sich nie mehr etwas rausquetschen lässt. Doch jetzt lässt ein Tränenschleier alles vor meinen Augen verschwimmen. Die Tränen sind da, Tränen der Hoffnung und des Glücks, obwohl noch nichts gewonnen ist.
Nach einer Weile fällt es mir wieder ein: »He, Ed, du hast
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