0244 - Der Seelen-Vampir
Vor uns gähnte der Schlund!
Eine düstere, unheimliche Tiefe, schwarz wie Tinte und einen Geruch ausströmend, der an fauliges, brakiges Wasser erinnerte und in dem auch noch eine andere Komponente mitschwang.
Leichengeruch!
»Und da sollen wir runter?« fragte Suko.
Ich hob die Schultern. »Wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben.«
Mein Freund und Kollege schaute sich um. Hinter mir und jetzt vor ihm öffnete sich das Gewölbe. Eine unter der Erde liegende Felshalle, vor Jahrhunderten entstanden, mit Geröll übersät und einem schmalen eingefurchten Bett, ein Zeichen, daß hier einmal ein schäumender Fluß seinen Weg gefunden hatte.
Wo das Licht unserer Lampen nicht mehr hinreichte, gab es die Eisenleiter. Sie klammerte sich an das rauhe, rissige Gestein und führte nach oben, wo der Wind um die kantigen, grauen Felsen jaulte.
Davon war in dieser Tiefe nichts zu merken. Bis auf unsere Stimmen war es ruhig.
Suko drehte sich wieder um. Der Strahl seiner Lampe fand jetzt den Eingang des vor uns liegenden Schachts, er riß einen breiten hellen Streifen in die Schwärze, der sich verdoppelte, als ich ebenfalls hinunterleuchtete.
Eine Treppe.
Stufen, die man kaum mehr als solche bezeichnen konnte. Eigentlich mehr Fragmente. Es war lebensgefährlich, dort hinunterzusteigen, aber wir wußten keinen anderen Weg und mußten ihn nehmen.
»Wer geht zuerst?« Suko schaute mich an.
»Immer der, der fragt«, erwiderte ich und grinste meinem Freund aufmunternd zu.
»Leuteschinder!« beschwerte er sich. »Aber mit mir kannst du es ja machen.«
»Eben.«
Suko drückte sich an mir vorbei. Er wurde noch vorsichtiger, als er seinen rechten Fuß auf die erste Stufe stellte und das Gewicht ein wenig verlagerte.
»Scheint zu halten«, murmelte er.
»Dann ab!«
Ein Geländer gab es nicht. Im spitzen Winkel leuchteten wir nach unten, als wir die feuchten, bröckligen Stufen in die uns unbekannte Tiefe stiegen.
Mittlerweile hatten wir uns an den scheußlichen Geruch gewöhnt, obwohl sich bei mir noch immer der Magen umdrehte, daran war nun nichts mehr zu ändern.
Beide hofften wir, am Ende der Treppe den Erfolg vorzufinden, den wir uns wünschten.
Es ging um Tote. Oder Fast-Tote, denn es war etwas passiert, das man als scheußliches Verbrechen bezeichnen konnte. Als wir davon hörten, wollten wir es erst gar nicht glauben, aber die Tatsachen sprachen dagegen.
Irgend jemand stahl sterbende Menschen aus Krankenhäusern.
Nicht nur eine Person war verschwunden, sondern mittlerweile vier. Zwei Frauen und zwei Männer.
Junge Leute wohlgemerkt, die an einer unheilbaren Krankheit litten oder durch einen Verkehrsunfall so schwerverletzt worden waren, daß keine Hoffnung mehr bestand.
Dies alles geschah in einer düsteren Ecke von Cornwall, dicht an der Küste, wo die Dörfer noch weit auseinandergezogen waren und die Menschen mehr für sich lebten.
Das alles wäre kaum aufgefallen, wenn nicht ein alter Pfarrer Verdacht geschöpft hätte. 70 Jahre zählte der Mann, er war beruflich nicht mehr tätig, inoffiziell jedoch besuchte er die Menschen, die ihm ihre Sorgen und Nöte anvertrauten. Der Pfarrer erfuhr von den makabren Diebstählen, und er wollte wissen, was dahintersteckte.
Ein Wort war gefallen. Man hatte es nur flüsternd gesagt, aber der Pfarrer hatte es öfter gehört.
Der Seelen-Vampir!
Diese Horrorgestalt, von der keiner wußte, wie sie überhaupt aussah und vielleicht nur ein Märchen war, sollte die Schwerkranken gestohlen haben.
Der Pfarrer lachte die Menschen nicht aus. Er stellte Nachforschungen auf eigene Faust an. Nach wochenlangem Suchen fand er heraus, daß die todkranken Menschen in den Felsenwirrwarr der Küste geschleppt worden waren und dort verschwanden.
Der Pfarrer entdeckte auch die Höhle. Aber er war mutig genug, um sich einzugestehen, daß er allein nun nicht mehr weiterkonnte.
Also informierte er die Polizei.
Der Land-Gendarm hätte sicherlich nichts unternommen, deshalb wandte sich der Geistliche an uns, an Scotland Yard. Wir waren für solche Dinge zuständig. Wo die normalen Ermittlungsmethoden der Polizei versagten, griffen wir gewissermaßen als Feuerwehr ein und hatten, ohne zu übertreiben, bereits beachtliche Erfolge erzielt, wenn auch Mißerfolge nicht ausblieben, wie bei unserem letzten Fall, als es uns nicht gelungen war, die Schädelkette zu zerstören.
Sir James Powell, unserem Chef, mußte der Pfarrer wohl sehr imponiert haben, denn er hatte nichts dagegen, uns nach
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