Lichtschwester - 8
Balladen gutging - daß im Fluß
untergetauchte Helden durch Binsen atmeten -, wollte hier, wo
die Binsen keine Luft durchließen, da sie in viele Kammern unter-
teilt waren, wohl nicht glücken …
Da stieß sich Nelerissa kräftig vom Grund ab, um ins tiefe Wasser
zu kraulen. Die Strömung faßte sie und trieb sie nach Osten; aber
sie ließ es geschehen, um sich nicht nutzlos zu verausgaben. Aber ihre Stiefel hingen wie Blei an ihr. Sie zogen ihr die Füße immer
wieder auf den Grund. Daher ließ sie das Kraulen sein, als sie in
schulterhohes Wasser kam, und blickte sich um.
Auch hier war sie noch von zahllosen wilden Tieren umgeben.
Rehe und Antilopen sah sie dort schwimmen und sogar einen
goldbraunen Panther, und sein unheimliches Fauchen, das dem
Feuer wohl eine Warnung sein sollte, ließ ihr fast das Herz stillste-
hen. Aber die anderen Tiere verhielten sich merkwürdig ruhig.
Nelerissa tauchte völlig unter und hob nur ab und an den Kopf aus
dem Wasser, um Luft zu holen. Dabei sah sie, daß die Lohe von
Mal zu Mal um ein Stück näher war und jetzt bereits das sumpfige
Ufer erfaßte - ein Meer flüssigen Lichts, das die Binsen im Nu
dörrte und verzehrte. Ein furchtbarer Geruch lag in der Luft. Der
Himmel war rabenschwarz von Rauch und Asche, und darunter
stoben wie ein Sternschnuppenregen abertausend Funken.
Und einer fiel ihr leicht wie eine Schneeflocke dicht unter dem
Auge auf die Wange. Da tauchte sie schnell wieder unter und rieb
sich die versengte Haut. Die Schmerzen, so durchdringend wie
von einem Speerstich, ließen auch nach, schwanden aber nicht
ganz.
Jetzt wäre sie am liebsten ständig unten geblieben. Aber das ging
natürlich nicht. Sie schoß hoch, daß der Gischt nach allen Seiten
flog, und holte Atem, war dabei aber aus Angst vor den Funken so
angespannt wie eine überdrehte Harfensaite.
Das jenseitige, nördliche Ufer hatte Feuer gefangen. Die Flammen
umarmten die Bäume dort inniger noch als Liebende - der Sturm
und der Funkenflug hatten ihr höllisches Werk vollbracht… Ne-
lerissa dankte Resdren, dem Schutzpatron der Diebinnen und
Diebe, daß die sie den Weg ins Wasser hatte finden lassen.
Aber so von Kälte und Hitze geplagt - der Eiseskälte des aus den
Westbergen kommenden Flusses und der Gluthitze über den Flu-
ten -, wurde Nelerissa bald von einem starken Schüttelfrost ge-
plagt, und da wußte sie, daß es kritisch wurde. Sie kühlte rasch
aus, konnte aber nicht aus dem Wasser und sich aufwärmen. Da-
her versenkte sie sich, wie sie es bei einem Schamanen der Nord-
berge gelernt hatte, in einen Zustand tiefer Kontemplation. Ihr Bewußtsein wurde davon nicht getrübt - sie wußte gut, wo sie
war, was um sie geschah und was sie zu tun hatte. Aber sie war
jetzt fast unempfindlich gegen Hitze und Kälte und spürte kaum
noch Schmerzen.
Sie wollte auch alle Gedanken bannen und mußte doch daran den-
ken, wie und warum sie in diese Hölle geraten war.
Sie - Nelerissa Grassamen - war die beste Diebin in der Stadt und
der Mann, den man Degen hieß, der beste Dieb dort. Aber jeder
von ihnen hielt sich selbst für die Nummer eins … Die Stammgäste der Stadtschänke, in der sie verkehrten, waren in diesem Punkt recht unbeständiger Meinung und immer zu einer Wette bereit.
So hatten sie Degen die Palme zuerkannt, als er der Prinzessin von
Leileth die Krone stahl - und Grassamen den Lorbeer, als sie dann
aus der Schatzkammer des Ersten Handelsherrn den magischen
Rubinschlüssel und erlesenste Edelsteine entwendete. So war es
eine ausgemachte Sache gewesen, daß sie nach Westen zögen, um
den Menschenschädel aus reinem Opal, von dem man jüngst ge-
hört hatte, zu stehlen, ja, in manchen Schenken hatte man sie gar
gefragt, wann sie denn nun aufzubrechen gedenke! Denn jeder
wußte: Wer jene Trophäe erränge, würde zum Diebskönig von
Areherna ausgerufen.
Im Sommer durchquerten nur wenige Karawanen die Goldene
Steppe. Aber ihr alter Freund Hundeohr hatte ihr zugetragen, daß
sich da eine zum Aufbruch vorbereite. So war sie zum Westtor
geeilt. Von Degen weit und breit keine Spur - war er am Ende
schon abgereist? Aber Hundeohr hatte ihr ja hoch und heilig ge-
schworen, daß er die Stadt nicht verlassen hätte … Sie hatte sich
dem Karawanenführer unter falschem Namen angedient. Und der
hatte sie angeheuert, als Wächterin. Daß sie Ausländerin war,
hatte ihn, bei ihrem Geschick im Kampf mit Dolch und Schwert,
nicht geschert. Aber daß sie auch die legendäre
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