Lichtschwester - 8
zuhalten mußte. Oh, es war einfach unmenschlich! Terri schloß die Augen und knirschte mit den Zähnen vor Pein. Aber als sie schon glaubte, es nicht länger ertragen zu können, brach der entsetzliche Gesang mit einemmal ab. Terri nahm nun die Hände herab, schlug langsam die Augen auf und blickte sich um - aber da war kein Storos mehr zu sehen! In Panik musterte sie das Rund, vergeblich. Dann lief sie auf die Lichtung hinaus, stellte sich an den Platz, an dem Storos gestanden hatte, und holte mit fliegenden Händen ihr Amulett hervor. Es gab keinen Schimmer von sich. Sie drehte sich so ruhig wie möglich im Kreis, aber der Stein wollte und wollte nicht erglühen. Der Zauberer war wahrhaftig spurlos verschwunden. Verzweifelt ließ sie sich zu Boden fallen. Nun war sie kaum eine Stunde hinter ihm her gewesen und hatte ihn schon verloren, hatte schon versagt. Die Jungs hatten recht gehabt. Sie würde nie eine rechte Zauberin werden. Wutentbrannt riß sie sich das Amulett vom Hals und warf es weit von sich. Es war ja jetzt nutzlos geworden! Dann hockte sie sich ins Gras und weinte bitterlich. All ihre in diesen zwei Monaten aufgestaute Wut und Enttäuschung brachen sich nun Bahn. Mit riesigen, quälenden Schluchzern weinte sie über die Grausamkeit der Jungs in der Schule und über die ungerechte Welt, die Mädchen das Zeug zum Zaubern absprach. Schließlich weinte sie auch über sich und ihren größten Wunsch - den Wunsch, einmal eine Zauberin zu werden.
Als ihre Tränen dann endlich versiegten, fühlte sie sich zu ihrer Überraschung besser als je zuvor in den zwei Monaten - erschöpft, aber erleichtert. Doch was soll ich nun tun? dachte sie dann, ich kann den Jungs nicht so bald wieder unter die Augen treten. Aber als sie im Rucksack ein Taschentuch suchte, mit dem sie sich die Augen hätte trocknen können, kam ihr ihr Zauberbuch in die Hände. Da dämmerte ihr, was sie tun mußte. Vielleicht würde ihr ja einer ihrer Zauber weiterhelfen, wo das Amulett versagte.
Fieberhaft schlug sie einen Spruch auf, mit dem man angeblich den Weg, den ein Verfolgter genommen, aufleuchten lassen konnte. Sie erhob sich schnell, nahm das Buch in die Rechte, verdrängte alle anderen Gedanken und las den Spruch mit lauter Stimme ab.
Daraufblickte sie langsam um sich, um festzustellen, ob er gewirkt habe - aber da war nichts zu sehen. Sie versuchte es erneut, auch ohne Erfolg. Enttäuscht schlug sie die nächste Seite auf und probierte es mit einem anderen, komplizierteren Spruch, den sie da fand. Aber auch er hatte nicht die geringste Wirkung. Da legte sie das Buch hin und rief sich in Erinnerung, was Colin über diese von Storos verwendeten Gegenzauber erzählt hatte. »Erst nachdenken«, hätte Storos gesagt. Und bei der Vorstellung, wie er sie mit erhobener Braue gemahnt hätte, sich nicht wie ein Schafskopf anzustellen, mußte sie einfach lächeln. Sie versuchte, sich zu sammeln, und ließ den bisherigen Ablauf noch einmal Revue passieren. Erstens: Storos war mit seinem Spazierstock und seinem Schultersack in den Wald gegangen. Dann hatte er auf der Lichtung gehalten und sein Zauberlied gesungen - und war jäh verschwun-den. Darauf hatte sie all die einschlägigen Spürzauber rezitiert, aber keiner davon hatte angeschlagen. Keiner meiner Zauber hat angeschlagen, wiederholte sie bei sich. Aber wer sagt denn, daß ich hier auf Magie bauen müßte? Vor ihrem inneren Auge sah sie Storos mit seinem Spazierstock vor sich - er kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben, dachte sie in plötzlicher Eingebung, er muß diese Lichtung zu Fuß verlassen haben. Und wenn er das getan hat, muß er auch Spuren hinterlassen haben, die zu finden es keiner Magie bedarf. Sie hätte sich dafür ohrfeigen können, daß sie darauf nicht gleich gekommen war - war aber dennoch stolz auf sich und ihren Gedankenblitz … Sie konnte vielleicht nicht zaubern, hatte aber soeben weit mehr Scharfsinn bewiesen als Colin oder die anderen Jungs in all dieser Zeit.
Terri verstaute ihr Zauberbuch, schulterte ihren Rucksack und sah sich nach Fußspuren um. Da es bereits dunkelte, zauberte sie sich noch schnell eine magische Fackel, die nun neben ihr her schwebte und ringsum alles erhellte. Dort, da war doch ein Fußabdruck und da ein zweiter, ein dritter … Das mußte seine Spur sein! Terri folgte ihr von der Lichtung in den Wald, ganz wie sie mit ihrem Vater nur wenige Monate zuvor einer Fuchsfährte nachgegangen war. Der Spur meines Lehrers
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