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Lichtschwester - 8

Lichtschwester - 8

Titel: Lichtschwester - 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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nach Ansicht einiger Leute, der Grund, warum sie ihre Gärten den Liebenden öffnete und sich mit solchem Prunk und solch erlesenen Menschen umgab. Ja, diese Leute sagten, die Königin wolle sich in eine völlige Harmonie von Linien, Klängen und Gedanken versenken, wie um darin zu ertrinken und ihr Ich zu verlieren - um nicht mehr das Tier zu sein, das sie, wie sie wohl wisse, in den Augen der Menschen sei.
    Bei Hofe trug die Königin immer nur lange, wallende Kleider, die ihre groteske Gestalt so gut wie möglich kaschierten. Und ehe sie erschien, mußte man immer die großen Leuchter hochziehen und das Licht im Thronsaal dämpfen.
    Denn helles Licht schmerzte angeblich ihre abnorm empfindlichen Augen.
    Im Halbdunkel der üppigen Gärten fand die Tier-Königin öfter als andernorts Ruhe und Frieden. Sie verbrachte dort ganze Tage. Wenn die Sonne vom Himmel brannte, flüchtete sie sich in den Schatten des Ahornhains oder der Trauerweiden am lustig plätschernden Bach oder erging sich zwischen den kunstvoll beschnittenen Hecken des Irrgartens. Wenn es jedoch regnete, setzte sie sich in eine ihrer Lieblingsgrotten, um philosophische Werke zu lesen oder mit ihrer so ungefügen, schwarz behaarten Hand in ihrem in Leder gebundenen Tagebuch einen ausnehmend schönen Gedanken zu notieren.
    Zu anderen Tageszeiten, wenn die Sonne in einem bernsteinfarbenen Feuermeer versank oder Wolken den Horizont verbargen, pflegte sie die in ihren Gärten promenierenden Paare zu beobachten.
    Sie waren ein schöner Anblick für sie … diese jungen Männer und Frauen, wohl so vollkommen wie der schönste Sonnenuntergang, aber lebendiger. Die Tier-Königin liebte es, diese flirtenden Menschen zu beobachten, die einander zärtliche Worte zuflüsterten -Worte, die sie geflissentlich zu überhören versuchte, aber nicht konnte. Sie weckten in ihrem so unmenschlich reinen Herzen ein ihr neues Gefühl, das sie nicht hätte in Worte fassen können, das sie jedoch immer wieder überkam und mitunter schmerzhaft an ihr nagte. Aber der Anblick all dieser Verliebten, so sehr er auch eine seltsame Sehnsucht in ihr nährte, erfüllte sie doch mit einer merkwürdigen Zufriedenheit.
    Bis nun eines Tages ein junger Mann eine blutrote Blüte von ihrem Lieblingsstrauch brach. Da war es um den Frieden der Tier-Königin geschehen.
    »Oh, wie hübsch! Und wie groß sie ist, die will ich haben!« rief Aysnera und wies auf die prachtvolle, exotische Blüte, die soviel größer war als die übrigen an diesem Busch. »Ich weiß nicht recht, meine Liebe«, erwiderte Moere bedächtig, »vielleicht wäre es nicht recht, hier einfach irgendwelche Blüten zu brechen.«
    »Warum nicht?« schmollte die junge Frau. »Es hat ja so viele hier … wem würde das schon auffallen oder weh tun? Oder hast du etwa vor ihr Angst?«
    Moere errötete. Ihm sah man jede Gemütsbewegung immer sofort an, da er eine so helle, porzellanzarte, durchscheinende Haut hatte, daß der leiseste Blutandrang sein Gesicht mit der flammenden Röte eines Sonnenuntergangs überzog - die dann genauso schnell wieder einer edlen Blässe weichen konnte. Aysnera war nicht die einzige, die Moere mit seinem Air außergewöhnlicher Empfindsamkeit, seinen honigfar-benen Locken und seinem sanften, in sich gekehrten Blick bezaubert hatte, und in ihrem Freundeskreis hatte er, bei Frauen wie bei Männern, den zärtlich neckischen Spitznamen »Der Schöne«.
    »Tja dann«, versetzte Lady Aysnera. trotzig, »pflücke ich sie mir eben selbst!« Schon streckte sie ihre reich beringten Hände aus und reckte sich, stellte sich sogar auf die Zehenspitzen, um die schöne Blüte zu erreichen … aber vergeblich, und so gab sie es auf und klagte: »Oh, dieser blöde Busch! Er ist zu hoch für mich! Aber wie hübsch das leuchtende Rot doch in meinem schwarzen Haar aussähe … Wenn du doch bloß etwas lieber zu mir wärst, Moere! Du bist ja groß genug!«
    Seufzend gab der junge Mann nach und brach die Blüte. Aber dabei empfand er ein ihm unerklärliches Unbehagen - wie einer, der sich bei einer Ungehörigkeit beobachtet fühlt. Und schon sah er Aysnera bestürzt ihre Röcke raffen und in einem tiefen, ehrerbietigen Knicks niedersinken … und hörte sie »Eure Majestät!« murmeln … und er fühlte, wie sein Puls aussetzte und dann, halb von Furcht und halb von einem nicht benennbaren Gefühl befeuert, wie wild zu rasen begann. Aber noch ehe er seine tiefe, höfliche Verbeugung machte, musterte er mit raschem Blick die vor

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