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Lichtschwester

Lichtschwester

Titel: Lichtschwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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benennbaren Gefühl befeuert, wie wild zu rasen begann. Aber noch ehe er seine tiefe, höfliche Verbeugung machte, musterte er mit raschem Blick die vor ihm aufragende, wie aus dem Nichts gekommene schwarze Mißgestalt - und sah menschliche Augen, in denen ein kaltes Feuer glomm. Da senkte er den Kopf und umklammerte den Blütenstengel mit bebender Hand.
      »Erhebt euch, erhebt euch ... und tut das nie wieder«, sprach die Gestalt nun mit tiefer Stimme, aus der Machtbewußtsein, aber auch unterdrückter Zorn klang, und fuhr dann, an die zitternde Aysnera gewandt, fort: »Wer hat dir denn deine Manieren beigebracht?«
      »Oh, es tut mir so leid, Majestät! Bitte, entschuldigt...«
      Die zwei erhoben sich, wie ein ungeschriebenes Gesetz befolgend, wagten jedoch nicht, die Augen zu heben und ... sie anzusehen.
      »Wie heißt du, junge Frau ?« fragte die Tier-Königin.
      »A ... Aysnera, Eure Majestät. Lady Aysnera Hild. Es tut mir so leid...«
    »Aysnera Hild, wärst du denn damit einverstanden, daß sich deine Gäste in deinem Haus einfach dein Silbergeschirr von deiner Tafel nehmen oder deine Gobelins von den Wänden holen? Dies sind meine Gärten, und ihr seid hier meine Gäste ... Die Blüte, mag ihr auch seit Wochen meine Liebe gelten, ist nicht wirklich wertvoll. Aber was mich stört, ist deine Einstellung, Lady, die Unbekümmertheit, mit der du sie dir nahmst.«
      »Ich bin der Schuldige ...«, warf der junge Mann da ein. »Ich habe die Blüte gebrochen.« Damit hob er den Blick und sah dem Tier in die Augen. »Moere Deiwall, Majestät, zu Euren Diensten.« »Ja«, erwiderte die Tier-Königin, als er schon glaubte, der Kopf zerspringe ihm unter dem Blick, den sie ihm aus dem Dunkel ihrer Kapuze zuwarf. »Ich weiß, aber du hast es doch nicht aus eigenem Antrieb getan. Ich habe nämlich alles gehört.« Nun wandte sich das Tier wieder ebenso jäh an Aysnera: »Du kannst gehen, junge Frau. 
      Ich trage dir die Sache nicht nach.« Und dann an Moere: »Aber du bleibst. Ich möchte, daß du mit mir kommst.«
      Der junge Mann wurde so von kalter Furcht überkommen, daß er wie betäubt war, ja, nicht einmal hörte, wie Aysnera hastig Abschied nahm, und nicht einmal mehr sah, daß sie sich fast im Laufschritt entfernte, ohne sich noch einmal umzudrehen. Jetzt war er allein mit dem Tier.
      Und diese Furcht ließ ihn auch nicht los, als er der in schweren, schwarzen Brokat gehüllten unförmigen Gestalt, von der er nur die Stimme und den Blick kannte, auf gewundenen Gartenpfaden zu einem ihm unbekannten Ziel folgte. Er ging wie unter einem Bann hinter ihr her, von einem intuitiven Gefühl der Verpflichtung, aber auch von einer ihm neuen Erregung getrieben und gedrängt.
      »Ich will dir Dinge zeigen, die du noch nie gesehen hast«, sagte das Tier, als sie nun dahinschritten. »Dir, im Gegensatz zu all den anderen, muß ich sie zeigen.«
      Und er dachte nicht einen Augenblick daran, sie nach dem Warum zu fragen.
      Sie kamen durch Ahorn- und Eichen- und Birkenhaine, und das Tier erzählte ihm von der Schönheit der Geräusche fallenden Laubs und vom weichen Atem der Erde. Sie sahen in die munter plätschernden Bäche hinein, und sie lehrte ihn, mit einem Blick all die Kiesel auf deren Grund zu zählen. Sie zeigte ihm das Spitzenmuster der Schatten, die die an den Bachrändern wachsenden Trauerweiden mit ihren so zarten Blättern und Zweigen warfen, und da erinnerte er sich, daß er Spitzen dieser Delikatesse schon an den kunstvollen Tapisserien bei Hof gesehen hatte. Dann betraten sie die Grotten. Und er sah, daß die Steingebilde ein unheimliches, hypnotisches Licht verströmten ... Der Anblick einer aufflatternden Fledermaus löste in ihm nicht mehr Ekel und Angst aus, sondern ein seltsam freundliches Mitleid und gar Bewunderung für ihre elegante Stromlinienform. Ja, er wurde gewahr, daß seine Furcht lebhafter Neugier gewichen war. Er hätte vor allem so gern wieder die Stimme der Tier-Königin gehört. Da sagte sie auch schon, mit einemmal innehaltend: »Die Sonne geht gleich unter, du mußt nun Abschied nehmen. Behalte die Blüte, die du gepflückt hast, als ein Geschenk von mir. Komme morgen zu der Stelle, wo wir uns begegnet sind. Dann zeige ich dir noch mehr.«
      Er nickte stumm, da er wußte, daß er gehorchen mußte.
      Moere Deiwall kehrte am folgenden Nachmittag zurück - wie sie ihn geheißen. Und auch am nächsten und übernächsten Tag. Und das Tier führte ihn

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